Dr. Zsäsegs Mind Machine (Flucht und Wiederkehr XXV)

Versuchen Sie einen Text zu imaginieren, in der eine Protagonistin handelt, ohne auf einen Mann angewiesen zu sein.

Eine Geschichte, die von vorne bis hinten auf jeglichen Anflug reaktionärer Zynik verzichtet, in der keine von Herkunft, Aussehen und Bildung ausgehenden Vorurteile kolportiert werden, keine Reduktion auf Geschlecht, Weltanschauung oder Geschmack vorgenommen wird –

eine Geschichte vielleicht, in der Klarabella ihre Milch an den Nachwuchs der fürsorglichen, gleichgeschlechtlichen Partner von nebenan verschenkt, Ulrike etwas sucht, das sie niemals finden wird, während sich das Idealismuskarussell immer weiter um ihre vielen Identitätsmerkmale dreht, obwohl das natürlich positiv ist, da sie es immerhin versucht, das Kopfverdrehen;

eine Handlung, in der Ruth einst Kevin war, jetzt aber total happy und Markus früher Marion, sich nun aber wieder nach ihrem alten Körper sehnt. Irre-relevant, da Inklusivität selbstverständlich allumfassend ist und auf detailliertere Ausführungen aus Triggergefahr verzichtet wird.

Ein Text also, dessen Safe Space Ihnen selbstbewußt ins Gesicht faucht, wie eine Kampflesbe einex transgender Homophobex, dex eine Antidiskriminierungsbeauftragte, welche leidenschaftlich die Anschaffung von Gartenzwergen verteidigt, vergeblich liebt. Gut, vergessen Sie das Letzte bitte ganz schnell wieder, es klingt wohl alles noch ein wenig zu privilegiert.

Dr. Zsäseg blickte von dem Manuskript auf. Braunlich verdörrten die Kastanienbäume vor seinem Fenster und verschandelten ihm die ansonsten so erquicklich gedeihende Aussicht.

Die Einsendung faszinierte ihn nur auf eine spezielle Weise, rechtfertigte er sich. Etwa wie schwarzer Humor zuweilen die eigene Borniertheit erfrischend entlarvt und transzendiert – Satire darf, nein sollte! immerhin alles. Und doch stieß ihn dieser dahingerotze Dreck zugleich wie selbstverständlich ab. Er fragte sich  kurz, ob es sich nur um seine fingerzeigende, übergestreifte, gesellschaftliche Moral handelte, der er – nicht zu vergessen – seine Position zum Teil verdankte, nein schuldete! – und unterließ eine Antwort.

Hätte er ohne die Exotik seines Namens die Position erklimmen können, aus der heraus er heute richtete – Wächter über die Verbeitung  gehaltvoller Texte, Verfechter der reinen Lehre?
Aber da war etwas. Dieses Fight-Club-Gefühl, das sich, wie er erinnerte, aus lauten Sommernächten, aus Wut und Frust, Hoffnung im Verbund mit Abenteuerlust, aus Durst und Überdurst schöpfte. Jugend, ewige  Jugend und neu mach die Welt.
Unwirklich milde und zynisch zugleich blickte er auf die Seiten. Oldschool per Post. Wahrscheinlich ein 25jähriger Retro-Knirps, der weder Menschen verachtete, noch Diskriminierung verteidigen wollte. Ihn störte wohl die gängelnde In-Your-Face-Mentatlität einer permanenten Sprachregelung durch doppeldenk Gleichstellungszombies.
Warum konnte der sich bloß nicht damit abfinden? Es war doch nicht allzu schwer, sich der Leere anheimzugeben. Dr. Zsäseg verfiel in leichte Trance.

Mindsetting.. Sprache, nur Sprache.. aber ohne Einfluß auf Gefühle?.. fühl wie du willst.. nimm alles offen an.. alles Offene ist gut.. wir..
Er kämpfte sich ruckartig hoch, griff hastig den Mauszeiger und öffnete seine Mails, um sich abzulenken, obgleich ihn wegen des Abruchs des Clearings ein schlechtes Gewissen plagte. Zwei neue Mails, bestenfalls Strandgut, miesepeterte er.

Ein Fingerhut

Es ist Sommer – ein Sommer ohne Frischeperioden. Hitze, Schweiß, lüsterne Gedanken den lichten Tag lang. Obgleich der Alltag stattfindet, scheint das Land seit Monaten wie nach einem erschöpfenden Akt langsam vor sich dahinzuwälzen. Die Themen dieses Sommers sind unter-, die Süße der Früchte hingegen überirdisch – wohl dem, der Zugang zu Gärten hat. Meine Urgroßeltern verloren vor fünfundsiebzig Jahren im Feuersturm ihr Geschäft. Kleinwaren, Stoffe, Knöpfe Nadeln. Ein überkommenes Geschäftsmodell, das Gedenken?

Natürlich nicht, aber irgendwie verdächtig. Weiter.
Die nächste Mail, ein kurzes Gedicht, ließ ihn innehalten. Er las vorsichtig, als ob eine alte Melodie aus dem Nichts in seine Eingeweide gefahren wäre und seine Gesichtsmuskeln erweckt hätte.

Herbstgeburt

Am Ende aller Wellen steh’n Welten, wenn es spricht:
von riesenhaften Flatterfarnen, Ruinen bei der Au,
von Kronengrün und Wiesengelb, von Schollenbraun
und tausendfachem Blau.

Auf liebevolle Weise verführt das Sommerlicht,
zieht reifend Kreise, bis es
errötend bricht.

Dr. Zsäseg erging sich in Gedanken. Ließ sie laufen, spazierte dahin, schwebte, staunte, lächelte, wütete, schnaubte, Dr. Zsäseg weinte und schmiss ihnen jene entgegen, die er gefangengehalten hatte, ohne sie je vergessen zu können, halbverfaulte, zerlumpte Gedanken, Proletarierprologe, Faschofragmente und Mittemäander verklumpten und bildeten das Epizentrum des schwarzen Loches, das in seinem Geist rotierte. Wie gut es tat loszulassen. Wie wunderbar sich Freiheit anfühlte. Obszön? Nein ehrlich, falsch und doch wahr. Insanity? Unsanity! Dreckig aber wohlgemut, lebendig. Er badete im Mist und wusch sich mit Liebe. Er verstand.

In eine Sanitärdenkblase gepresst dahin zu vegitieren, Verdenkmaschine, nicht Mensch zu bleiben war zukunftslos; nur eine solche, wusste er, könnte das kleine Gedicht verachten, und nur ein jenes könnte sie von sich selbst befreien.

[Untermalung 1,2,3]
Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

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