Sinn für Solidarität

Salopp gesagt: Ist der Chef der Stasiunterlagen-Behörde ein Sturkopp? Roland Jahn ist ein Konsequenter. Er ist ein Charakterstarker. Er ist ein Verletzbarer. Er ist kein Unversöhnlicher.
Selbst noch im Jugendalter, hat Roland Jahn den Tod seines Freundes Matthias Domaschk in der Untersuchungshaft der Staatssicherheit hinnehmen müssen. Die ihm versprochene Unterstützung der Kommilitonen, ihn vor dem Rausschmiß aus der Universität Jena zu schützen, erwies sich als leeres Versprechen. Dreizehn der vierzehn Mitstudenten ließen ihn im Stich. Roland Jahn hat sich nicht wehren können, als er am Morgen des 8. Juni 1983 in Probstzella in einen Interzonenzug gestoßen wurde, der in Richtung Bundesrepublik fuhr.
Wer hat den Menschen Roland Jahn geschützt, den seine Selbstständigkeit, seine Gesellschaftskritik, sein Aktivismus zu einem Unliebsamen in der DDR gemacht hatten? Er ist ein Geschädigter, der ein Unbeugsamer, ein Beharrlicher geblieben ist. Das sollte jeder im Sinn haben der urteilt. Der Mensch Jahn hat andere, unmittelbarere Erfahrungen als seine beiden Vorgänger im Amt des Bundesbeauftragten der Stasi-Unterlagen (Gauck, Birthler). Er muß ein Anderer sein in der Amtsführung. So ist es!
Die Biographie Roland Jahns wurde nachhaltig durch die ersten drei Jahrzehnte geprägt, die er in der DDR zu Hause war. Es war nicht die Jedermanns-Biographie die Jedermann lebte und erlebte. Gerald Praschl hat sich bemüht, eine Jahn-Biographie zu schreiben. Zustandegekommen ist das Buch „Roland Jahn. Ein Rebell als Behördenchef“. Die Untertitelung muß den Porträtierten stören wie die meisten Überschriften der Kapitel des Buches. Klischees, Etikette, Normen sind Jahn zuwider. Das hätte der Biograph zuerst im Blick haben müssen. Offensichtlich ist das Buch keine autorisierte Biographie. Der 1963 geborene Bayer Praschl schreibt über den 1953 geborenen Thüringer Jahn. Praschl schreibt über eine DDR, die er vom Hörensagen kennt. Er schreibt über einen Menschen, über den er sich einiges hat erzählen lassen. Das Buch ist die Addition von Angelesenem und Angehörtem. Verfaßt ist das Buch in einem Stil, der ganz dicht an dem des Boulevard-Journalismus ist. Auch das muß dem Porträtierten stören, der das Buch, Monate nach seinem Erscheinen, nicht gelesen hat. Warum wohl?
Die drei DDR-Jahrzehnte des Roland Jahn sind auf 80 des 240 Seiten-Buches zusammengefaßt. Oder sollte man sagen zusammengerafft? Zum Wesentlichen der Biographie macht Praschl, was Jahn nach der Zwangsaussiedlung getan hat. Das heißt in den achtziger Jahren des Vorjahrhunderts. Also Jahn in der Rolle eines Medienaktivisten, der die Bürgerrechtler in der DDR, entsprechend aller Möglichkeiten, mit allen möglichen Mitteln unterstützte. Die koordinierende Arbeit des Aktivisten ist für Praschl das Beispielloseste in der Biographie. Also hat das den größten Platz im Buch. Das wird dann auch das regste Interesse der Leser wecken. Die Außenstehenden, das sind die Millionen in Ost wie West, werden über Interna der Medienarbeit im geteilten Deutschland informiert, wie sie sonst so nicht informiert werden. In all den nun veräußerten Vorgängen wird deutlich, welches die Wesensmerkmale des Roland Jahn sind. Er ist ein Mann, dessen Stärke sein Sinn für Solidarität ist. Er ist ein Mann, dem keine Ungerechtigkeit seinen Glauben an Gerechtigkeit nehmen kann. Derart charakterlich ausgestattet und geprägt handelte er, und muß er handeln. Auch als „Stasi-Akten-Hüter“, wie ihn Gerald Praschl wiederholt verniedlichend nennt. Der „Rebell als Behördenchef“ ist kein Held. Er ist kein Hasardeur. Er ist kein Hasenfuß. An dem Menschen können sich die Millionen messen, ohne sich zugleich als Unterlegene zu fühlen. Wie menschlich!
Gerald Praschl: Roland Jahn. Ein Rebell als Behördenchef. Ch. Links Verlag: Berlin 2011, 240 Seiten, Geb.

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