Horizont

Ich schaue in den makellos blauen Himmel über einem weißen Dorf. Keine Menschenseele ist zu sehen weit und breit. Das Meer rauscht in die Stille hinein. Mein Blick streift über den Horizont, eine Katze auf weichen Pfoten. Die Fläche hinter dem Dorf bis zum Horizont ist mit Meer angefüllt. Blau an Blau liegen Meer und Himmel wie Bruder und Schwester aneinander. Oder wie Liebende, aneinandergeschmiegt, nah, vertraut. 

Er ist gefahren, den ich liebe. Dahinten, hinter den weißen Häusern fährt er nun. Er ist in eine menschenleere Fläche gefahren. Die Landschaft hat ihn verschluckt. 

Meine Gedanken heften sich an den Horizont. Sie balancieren auf dem Horizontstreifen wie Tänzerinnen. Der Horizont ist ein Seil, gespannt zwischen Brüdern, Schwestern, Liebenden. 

Neue Gedanken balancieren mit, kleine Eleven. Aufgepasst! Keine falle herunter in die menschenleere Fläche, die Landschaft, die Leere, das Blau. Alles verschwindet darin. 

Am Horizont sind nun Abschiede herangetanzt. Sie haben sich aufgereiht. Gute Abschiede und schlechte Abschiede. Trennung.

Ein Finger legt sich auf einen Riss in mir. Die Lippen öffnen sich einen Spalt unter dem Finger und flüstern: Psssst.

Er ist gefahren, den ich liebe.

Ich höre Musik. Meine Augen tanzen auf dem Meer mit den winzig weißen Schaumkrönchen, ganz weit draußen. 

Ich bade in Musik. Miles Davis, Trompete. Kind of Blue; ich schwinge hin und her im leichten Wind.

Wie nah wir uns waren, wie vertraut. Wie schön das Gefühl, die Zeit, wie weh der Abschied…

Er ist gefahren, den ich liebe.

evawal
geb. 1966 in Hamburg, Ausstellungen, Lesungen und Konzerte, Klang- und Rauminstallationen, Video, Film, Performances. Lyrik, Prosa und andere Abenteuer. www.evawal.blogspot.com

2 Kommentare

  1. Vor einigen Jahrzehnten, in ihrer Jugend, nannte sie es Liebe. Heute nennt sie es Schmutzränder an den Kleidern der Vergangenheit. Dann kommt sie auf solche Metaphern. Sie geht raus und holt sich Rossmanns Fleckenteufel. Der entfärbt jede noch so harnäckige Illusion. Ohne irgendwelche Rückstände.

  2. wie jung muss man sein, um das gefühl so lebendig zu beschreiben? schämen möcht ich mich für meinen stumpfsinn. hoffen möchte ich für die wiederkehr des momentes. naja, draußen ist frühling – vielleicht kommt ja doch noch was… und wenn, dann greif ich zu miles davis…

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