Colibri

Im Ort gibt es das Café Colibri. Genauer gesagt heißt es „Pastelarias Colibri II“.Colibri II liegt an einer Verkehrsinsel mit drei Palmen und wenigen Verkehrsschildern. Von hier aus geht es zum Supermercado Apolónia und auch ins etwas größere Nachbardorf Guia. Dort findet man Pastelarias Colibri I.Colibri II bildet die Ecke eines „Centro Commercial“, das keines ist. Neben „Alisupermarket“ ist auch alles andere, was weiß auf grünem Grund angekündigt steht (Hairdresser oder Nagelstudio), geschlossen, leer, zu verkaufen: „Vende Se“. Nur im Café Colibri summt das Leben und lockt mit köstlichem Nektar alle an, die in diesem künstlichen Ort an der Algarve überwintern. Rote Plastikstühle und -Tische stehen auf dem Platz vor dem Eingang.Bei schlechtem Wetter drängen sich die Einheimischen an den Tischen direkt hinter dem Eingang mit Blick auf den großen Fernseher. Man quält sich nicht mit Politik, es laufen immer Shows. Hauptsache Unterhaltung. Um die Ecke an den Fenstern sitzen die Touristen und schauen durch die gläsernen Scheiben hinaus auf die leere Straße. Hauptsache Ausblick. Die Theke ist bestückt mit Torten, Pasteten, Kuchen und anderen Leckereien, allen voran die hausgemachten Samosas. Alles hier ist „Fabrico Próprio“, hausgemacht. Das zurückhaltende Lächeln aus den dunklen Augen der Bedienungen in weinroten Pullovern umhüllt alles mit heller Freundlichkeit. Ich nenne dieses sanfte Lächeln, das mir einzigartig auf der Welt erscheint, das „portugiesische Lächeln“.Hinter der Theke glänzen die Spirituosen auf blanken Regalen: Whiskey, Likör, Port. Dazwischen lagern die Süßigkeiten und Knabbereien: Kaugummis, Lollies, Erdnüsse, Kinderschokolade .Jung und Alt kommt hier zusammen, und über allem schwebt der Vogel Colibri.Auf den Papier-Servietten, mit denen man das fettige Gebäck in der Hand hält und auf den Pappschächtelchen, in denen man eine Pastela Nata, ein Tortenstück aus Zucker und Eiweiß mit gelb klebendem Überzug oder weiß-braun karierten Kuchen mit Buttercreme oder das Samosa mit nach Hause nimmt, prangt das Bilde des in der Luft stehenden Colibri. Der Körper ruhig, die Flügel flatternd (ich denke an den Strandläufer und seine rotierenden Beinchen) hält er eine Torte an einer Schleife in seinem langen, spitzen Schnabel wie der Storch ein neugeborenes Baby: „Es ist eine Torte!“

evawal
geb. 1966 in Hamburg, Ausstellungen, Lesungen und Konzerte, Klang- und Rauminstallationen, Video, Film, Performances. Lyrik, Prosa und andere Abenteuer. www.evawal.blogspot.com

2 Kommentare

  1. wunderbar, dass es eine torte ist. da freuen sich die tortentanten hier im blog. vielen herzlichen dank für diese freudige überraschung. torten tun nämlich nicht weh, wenn sie einem auf dem kopf zerschmelzen. die migräniker hier können keine rumpelnden (und pumpelnden) schränke vertragen. die wollen’s lieber süß und weich. mit glazéhandschuhen und schon im zug grüßt Sie herzlichst: die alte kleist.

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