Der Atem einer Ärztin : dicht

Der Atem einer Ärztin : dicht

am Ohr : ein tiefes Schniefen

Keuchen : Flüstern : das sagt

nichts : vor allem : bilde

dir nichts ein : auf ihre kalte

Nase : hinterm Ohr

holt sie sich Wärme

nicht bei dir : das war’s

das war es nicht : sie tanzt

& zieht dich auf’s Parkett

die keusche : einst

tanzte sie Ballett : wildledern

ihre Stiefel & ihre Füße

setzt sie nach deinen

laienhaften Schritten : schweigt

& spricht : springt & schleicht

ein Kichern huscht übers Holz

& holt dich zurück auf den Boden

Viktor Kalinke
geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.

6 Kommentare

  1. Ach! – gibt es denn eine Kluft, über die die Liebe mit starkem Fittich sich nicht hinwegschwingen könnte? Was ist für die Liebe der Raum, die Zeit! – Lebt sie nicht im Gedanken, und kennt DER denn ein Maß?

  2. Ich weiß nicht, welche Verstorbenen noch alle auferstehen müssen, um das schlechthin Unverständliche, Allzumenschliche rechtfertigen zu sollen. Ich jedenfalls verstehe noch nicht einmal den Titel. Und Gedanken, die kein Maß kennen, sind mir zwar aus eigener Anschauung ein Gegenstand, allein, ich würde ihnen ihren wirklichen Namen nicht vorenthalten.

    Illusio: Ist Kunst ihrer Idee nach ein Versteckspiel? Eine Anbetung des Unverständlichen, nur in seiner Wiederkehr Vertrauten? Kann Schönheit denn wirklich sein ohne den Drang zum Guten hin, im Volksmund Gerechtigkeit genannt?

    Ich schäme mich für diese so großartig daherkommenden Worte, wäre aber für jede echte Antwort dankbar.

  3. O seit wann geht es um Verständlichkeit? Um Sinnlichkeit geht es, im besten Sinne um die Sinnlichkeit des Buchstabens, des Satzzeichens, der Pause. Bei mir geht es – leider, sinnig – auch um die fünf Sinne, die eigentlich sieben Sinne sind (oder zählen die Befindlichkeiten der Eingeweide nicht mit, welch katholische Narretei). Sinn und Illusion, sie liegen so nah beieinander, eng umschlungen, sie liebkosen sich, wer will sie trennen? Fern vom Gebet. Natürlich geht es um Verständlichkeit, doch sie muß sich nicht beim ersten Anblick offenbaren.

  4. Also zum Titel, Sinn und Sinnlichkeit in ihre Bestandteile auflösend und ihm ein zartes Halsband gravitätischer Gasmoleküle umlegend, damit der Luftwiderstand der Bedeutung nicht ganz geleugnet wird, so wie es meist geschieht, wenn jemand wieder einmal Giordano mit Galileo verwechseln sollte – der Atem: nicht meiner, deiner, ihrer, seiner – der: Einer für alle! Rätselhaft, ist doch meine Lunge nicht der Luftinnenraum dieser Welt; welcher Atem nun – o, es kann sich nur um den Odem handeln (eines Golems Todeszuckung im Augenblick der Selbstentleerung, Georg Trakls Sehnsucht hinter Grodek oder wenigstens das Gefühl des o in der Kehle als Ambivalenz von oa und ou) welcher Atem: hastiger, schlechter, schneller, warmer, Atem wie ein Windhauch („sauberer“ – im Deutschen mit einem Tabu belegt, weswegen die denkbare Wortverbindung „sauberer Atem“ vom Neurosestempel plattgemacht wird und nur noch „krank“ bedeutet) kalter (Oxymoron – Bedeutung: Tod) zittriger (die Knie, hier fängt’s dann synästhetisch an, sich mit Metaphernpudding zu versehen, aber jeder versteht’s irgendwie, „nicht wohlgeformt“) verhaltener Atem s.o.; das ist die Welt des Atems, und die Wiederkehr zeigt uns, dass wir die Welt einmal umrundet haben – „der Atem einer“ … : Kuh; Frau; Flasche, auf welcher der Wind ein Lied spielt – Unterscheidungen: belebt/unbelebt, menschlich/tierisch – kann’s noch mehr geben im irdischen Luftraum? „Der Atem einer Ärztin“ – ah ja, also Frau, wahrscheinlich aus männlicher Perspektive – ’s iss nu‘ ma‘ so hier unten, auch wennn’s nicht gerade neu ist – der Text als Tagebuch eines in der Zeit fortschreitenden Griffels mit Augen auf Nähe und Distanz – Also dass heutzutage auch Frauen Arzt sein können! einfach wunderbar; aber: der Atem einer Ärztin im Spiegel des Fortschritts der Zeiten? Wenn Ärztin mit Kind, dann Superstress, der Mann dazu sollte ganz in seiner Frauenrolle aufgehen können – besser: Ärzteehepaar, da kann man sich dann eine Haushälterin leisten; alleinstehend verantwortungsbewusst: ewiger Traum vom eigenen Kind vor dem Altar der Hingabe an’s Gemeinwohl – archetypisch: Elisabeth von der Wartburg, nach Fulda ausgewandert; also heilig. Sprung ins Große: Wird auch dieser Körper einstmals verwesen (Dostojewskis Greis Ssossima…) dann ist sein Atem nurmehr die Erinnerung an seine letzten Erdentage, dann bleibt sinn(l)ich nur der Kontrast zwischen dem Bild der heiligen Jungfrau und dem Mundgeruch des sterbenden Greises, im semantischen Innenraum der Heiligkeit; sinnlich, sinnlich! Punks essen gern Schimmelbrot, Träume sind voll weißer Pferde. Voran, zum Ende: „Der Atem einer Ärztin: dich“ neben meinem Ohr … na dann macht’s doch gleich hier, Henry Miller kurz vor seiner Abreise nach Europa, Film: „Nur Pferden gibt man…“ – Kondomautomat mittlerweile auf jedem Klo, Kneipen in Deutschland haben nun extra ein Raucherzimmer dafür!! Fazit_Also wieder bloß: Feier der Blasphemie. „Emanzipierte Ärztin. Endlich!“ Hoffentlich hat’s wenigst’ns Spaaaaa? jemacht (nu och im Jedicht…)
    Die Situation des Lesers nach Sinnerschließung des Titels gleicht der des schlendernden Passanten vorm Eingang zum Erotik-Kino. Und: Geld unwichtig, warum nicht auch diesen Text lesen?

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