Meine Fäuste

Zurück zu unserer erfolgreich gescheiterten Heldin, Klara Klarsack, die sich schmollend aus dem Rennen um einen Platz im akademischen Lehrbetrieb zurückzog, nachdem schon beim ersten Anlauf ihr authentisches Praxiswissen so schnöde verschmäht worden war. Um nach ihrem autodidaktischen Höhenflug nicht in eine Depression abzustürzen, stürzte sie sich ins Nachtleben des Städtchens, verunsicherte Clubs und Hauspartys, wo sie eine gern gesehene Gesprächspartnerin darstellte. „Die Frau, die viel spricht“, wurde sie insgeheim genannt, von den einen voller Bewunderung, von anderen mit etwas angestrengter Miene. Im privaten Rahmen hatte es Klara leicht, bei ihren Verehrern anzukommen, hier spielte es plötzlich keine Rolle, ob sie einen akademischen Hintergrund hatten oder einen soliden Beruf ausübten. Wer sich mit ihr amüsieren wollte und wem es gelang, ihre Aufmerksamkeit zu erringen, der konnte mit intersexuellen Herausforderungen von ihrer Seite rechnen. Wenn er sie meisterte, dann hatte er die Chance, ihr Geliebter zu werden.

Klara sprach jedoch nicht von ihren Geliebten, sie sprach von „meinen Fäusten“. Sich selbst sah sie als Gretchen an, jedoch, ihrem Lieblingsthema entsprechend, in Rollenumkehr. Sie stellte die Männer auf die Probe. Den einen hieß sie, sich zu verkleiden und als Leibniz auf der Party zu erscheinen, um zu testen, ob die Anwesenden auch Bescheid wußten über die sphärische Trigonometrie, die in seligen Zeiten den Zehn-Mark-Schein zierte, oder ob damals schon die Meute nur auf den Wert des Geldes gestarrt habe. Zum Dank für dieses Rollenspiel wanderte sie mit dem Verehrer auf die Toilette, wo er zuschauen durfte, wie sie ihre Notdurft verrichtete.

Dem zweiten befahl sie, zunächst ein Mädchen im Kreis der Partygäste zu entjungfern, damit sie sich von seinen Qualitäten überzeugen konnte, bevor sie ihm erlaubte, an ihr Hand anzulegen. Sie erwies sich seiner Kunst erkenntlich, indem sie ihm einen Blick auf ihren entblößten Busen gestattete.

Der dritte mußte Erde fressen, damit er Adam glich, dem Mann aus Lehm, aus dem alle anderen hervorgegangen waren. Denn sie sehnte sich nach Ursprünglichen und gab sich mit täglich geduschten und gegelten Fratzen nicht zufrieden. Im Gegenzug durfte er zugegen sein, wenn sie sich klitorial selbst zum Höhepunkt brachte.

Der vierte durfte wild durchs Wohnzimmer springen, sich auf dem Fußboden herumkugeln und animalische Laute ausstoßen als Gesang zum Osterspaziergang. Zum Dank ritzte sie ihm mit dem stumpfen Küchenmesser die Eier.

Der fünfte Faust im Bunde hatte die Rolle des Teufels zu spielen: Mit Schlips und Nadelstreifen schickte Klara ihn ins Rektorat, um dort als Vertreter des Ministeriums die Kürzungspläne für die kommenden zwanzig Jahre zu verkünden. Der Schock saß. Die Rektorin bereute bitterlich, die Berufung von Mr. Rumpel durchgewunken zu haben. Nun würden sich die erhöhten Personalausgaben rächen. Wie erst, wenn Mr. Rumpel den Beamtenstatus erlangt hatte. Zur Strafe schickte ihn die Rektorin auf eine Fachhochschule auf dem Lande – und Klara verneigte sich ehrfürchtig vor ihrem Verehrer, der so gut den ministerialen Mephistopheles zu mimen verstand.

Obwohl unsere verspielte Klara behauptete, mit keinem ihrer fünf Fäuste „Verkehr gehabt“ zu haben, wurde sie kurze Zeit nach Beginn ihrer Partyphase schwanger. Nein, sie wurde nicht nur schwanger, sie erwartete Fünflinge und wurde als medizinische Ausnahmeerscheinung in allen Zeitungen abgebildet. Binnen kurzem hatte sie eine landesweite Berühmtheit erlangt. Zahllose Gynäkologen wetteeiferten darum, sie betreuen zu dürfen. Tatsächlich stellte die Entbindung der fünf Faustbabys die Klinik vor erhebliche logistische Aufgaben. Im Fünfminutentakt erblickte eines nach dem anderen das Licht der Welt. Es mußte aufgefangenn, von Blut und Mutterkuchen gesäubert und gewickelt werden. Wenn es sich um Babys von üblichem Gewicht und gewöhnlicher Körpergröße gehandelt hätte, wäre das alles leicht zu handhaben gewesen. Die fünf Faustbabys, die Klara Klarsack gebar, besaßen jedoch bereits das Format ausgereifter erwachsener Männer (wenn das kein Widerspruch in sich ist), sie kamen mit Vollbart und Brille aus dem ballonartig geschwollenen Bauch Klaras hervor – was auch den letzten Vertreter der Hochschule davon überzeugte, daß die Berufungskommission sich geirrt haben mußte: diese Frau besaß ein schier unglaubliches akademisches Potential.

Marquis de Passade
geb. am 2. Juni 1940 in Triest, slowenischer Adliger mit französischen Wurzeln, wurde bekannt dank ei-ner Reihe kirchenfeindlicher und philosophischer Essays, die er im Gefängnis schrieb. Nach seiner Ent-lassung wanderte er aus und nahm eine halbe befristete Stelle an einer deutschen Hochschule an, um die Sadismen des akademischen Prekariats zu studieren. Passades Werke nehmen Kritiken am effizienzbasierten Studium vorweg, dessen Auswirkungen erst mehr als ein Jahrhundert später im Niedergang des westlichen Zivilisation sichtbar werden.

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