Rätsel um Pi und Baby

Es traf mich als Blitz aus heiterem Himmel. Mein zwölfjähriger Neffe Alfred stellte mir anläßlich eines Sonntagsausflugs die Frage, ob wirklich alle Zahlen gleich seien oder ob es nicht doch Zahlen gibt, die anders sind als die meisten. Sein Freund Brinki habe ihm nämlich neulich ‚was von einer Zahl Pi erzählt – der Zahl aller Zahlen – und wer diese Zahl kennt, so Brinki laut Alfred, der sei ein glücklicher Mensch, der hätte das Geheimnis des Universums in der Tasche, der hätte Zugang zu den wildesten Welten. Ob ich diese Zahl kennen würde: Aber natürlich, und im Nu war ich mitten im Vortrag über rationale und irrationale Zahlen, Grenzwerte – den ganzen Schmuhs, den ich selbst in der Schule und später auf der Universität gelernt hatte, so wie man lernt, daß gelb auf englisch yellow heißt und blau blues. Irgendwann unterbrach mich Alfred mit entsetztem Blick und meinte, wenn das wilde Welten seien, dann wäre das Murmeltier der Tiger unter den Menschen. Sein Einwand entsetzte mich. Die Klarheit dieser Metaphorik hatte etwas von himmelblauer Eisluft. Von einem Augenblick auf den nächsten spürte ich die Langeweile von Jahrmillionen an mir vorüberziehen.

Zahlen, wer wüßte nicht, was das ist. Haste was, dann kannste auch. Aber diese Zahlen waren doch ziemlich langweilig: Mit der Erkenntnis dessen, was Münzen sind – und dazu genügt es wohl, eine, zwei oder drei zur Verfügung zu haben – läuft alles nur noch darauf hinaus, möglichst viel von dem Zeug anzuhäufen. Das mag ja nun tatsächlich ein praktisches Problem sein – Könige, Kaiser, sogar Päpste sind daran gescheitert – aber für die Freiheit der Phantasie läuft alles das aufs immer Gleiche hinaus: Haste noch nich‘ genug, dann nimm noch ‚was dazu. Das einzige Problem, mit dem sich die Phantasie dabei konfrontiert sieht, ist die Frage, wie ich denn einem mitfühlenden Wesen den Umfang meines Reichtums beschreiben könnte. Dann geht es also darum, Namen für das stets Neue zu erfinden. Aber Namen gibt es für alle Dinge, und die Dinge sind ja nun bei weitem interessantere Wirklichkeiten als diese eine Münze, deren unbeschränkt augestapelte Doppelgängerinnen einen Turm ergeben, der als Turm ganz sicher irgendwann zusammenstürzen muß. Bilde ich mir aber ein, ich könnte immer so weiter hochstapeln, dann ist meine Phantasie in der Tat eine kranke – keine wirkliche Welt wird auch nur in dem Schein bestehen können, mich als Hochstapler dauerhaft zu ertragen: den Münzenmann, der nichts als Stapeln kann. Eine solche Welt wäre in der Tat eine kranke. Grüß Gott, Babylon.

Kraba vel Jop
Inhaber einer E-mailadresse, juristische Person. Owner of Agency for Literary Promotion (alp), in den 80er Jahren zufällig Zeuge einer Festnahme im Frankfurter Stadtteil Bornheim, seitdem Mitarbeit bei Literaturprojekten (Sklaven/Sklavenaufstand, lose blätter, Zündblättchen u.ä.) ohne kommerzielles Interesse.

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