Verwanderschaft

Eine Kurzgeschichte wird oft nicht zum Roman, wenn ihr Autor nach einer gewissen Zeit – entweder aus Langeweile vor dem Thema oder aus Langeweile vor sich selbst, aus ideologischer Trägheit oder intellektueller Unlust heraus – die Handlung verdichtet. Der Autor forciert dann eine mehr oder weniger subtile Pointe, sei es auch nur eine solche, dass die (zerfahrene) Handlung eben keine zulasse.

Bestimmte Kurzgeschichten tragen jedoch teilweise  einen solchen Kern in sich, der zwar genug Stoff für einen Roman bilden könnte, doch ließe sich so, was unter Umständen als eine Kurzgeschichte durch eine spannende, expressionistische Strichzeichung abgebildet werden könnte, als Roman lediglich als eine kitschige Landschaftsidylle in Öl aufzeigen.

Umgekehrt ist es so, dass kaum ein (längerer) Roman, vielleicht ein dicker, grossformatig wie „Guernica“, das  richtige Format besäße, zu einer Kurzgeschichte im Sinne eines warholschen Comicdrucks verwandelt zu werden.

Was das Lesen eines langen Romans betrifft ist es wie das sich-treiben-lassen auf einem breiten Fluß. Eine Kurzgeschichte dagegen ähnelt des Öfteren einer Wildwassertour. Gewitzte Romanciers bauen Stromschnellen ein, Indianerdörfer, Krokodile aber auch Seerosen und  glitzerndes Haar, um Längen zu kaschieren, subtile Kurzgeschichten legen es auf Unterwasserwirbel an, die der Leser schon vor den  schlafwandlerischen Protagonisten zu spüren beginnt – und vielleicht stehen deren fehlende Schwimmwesten ja für Korruption?

Romane, das sind die Güterzüge der Kultur, sie haben eine Lok oder zwei und 20 Kapitel, manchmal mehr. Ihre Verfasser, von sich selbst überzeugt (oder von ihren Zweifeln daran, wie -der Novellist- Kafka), weisen ein hohes Maß an Disziplin und vorexerzierter Gewichtigkeit auf.

Kurzgeschichten dagegen  ziehen Autoren an, die gern Skizzen drechseln, die in ihrer Wirklogik oft ziellos, ja teilweise sogar anarchistisch sind, was ihnen ermöglicht Projekte aus dem Hut zu zaubern, verfallen zu lassen, flexibel in ihrer Sprachmanier zu sein, ganz wie die Gegenwart es ihnen vorgibt. Manche Wikipedia-Artikel hätten gar  das Zeug für Kurzgeschichten, wenn sie mit den nötigen literarischen Werkzeugen behandelt werden würden.

Ohne das mikrokosmische Klima, das die Kurzgeschichte in der Gesellschaft verortet (oder vermisst) und artikuliert ist der Roman undenkbar; ohne seine schützende Ozonschicht kollabieren wiederrum viele Story-Sphären – das Ökosystem der Literatur bedarf ihrer beide. So wird der Roman kürzer, wenn die Welt schneller wird, denn es mangelt den Lesern an Zeit. So wird er länger, denn der verbesserte (upgegradete) Leser kann viel  mehr in gleicher Zeit konsumieren.

Kurzgeschichtler: die Plänkler, die Warner, die Entdecker.

Romanciers: die Panzer, die Türme, Karl Mays.

Doch dies ist viel zu kurz gegriffen, schließlich gibt es auf der Weltbühne der Literatur auch einige Autoren, die sowohl Kurzgeschichten wie auch Romane geschrieben haben, Oscar Wilde zum Beispiel. Gleichwohl festzustellen ist, dass diese ‚Zwitterwesen‘ meist das eine oder andere stark bevorzugten und  aus wirtschaftlichen bzw. prestigehaften Erwägungen heraus der bevorzugten Literaturgattung Fremdes schrieben – Oscar Wilde, zum Beispiel.

Viele Autoren verweigern sich dem Roman, ja sogar dem Essay; deren gravitative Wirkung, behaupten sie, wirke sich negativ auf das zarte Pflänzlein Kreativität aus. Wahrlich, es sind nur wenige Papageienarten über 3000 Meter Höhe anzutreffen. Nietzsche hat mit seinem Zarathustra das geradezu Unmögliche geschaffen, indem er mithilfe des Aphorismus‘ einen philosophischen Roman kreierte – eine Leistung die in ihrer literarischen Bedeutung jener physikalischen der einstein’schen Relativitätstheorie wohl in nichts nachsteht.

Dann und wann gibt es Romane, die die Vorzüge einer Kurzgeschichte mit dem Mantel einer langen Erzählung belegen, die einen essayistischen Charakter für symbolische Details mit einer lange fesselnden Chronologie paaren, sie sind die Perlen der Literatur, die des Kalks der vielen kleinen gedichteten Algen bedürfen, die ihnen die Strömungen der oralen Tradition stetig zutreibt. Doch auch die Perlen brauchen Riffe, um zu gedeihen. Und Taucher, um ihre Schönheit ans Licht zu bringen – um leuchten zu können.

Farben, das sind atomare Muster und symbolisieren doch auch Unerklärliches, werden als Fläche zum Zeichen. Romane, das sind erzählerische Muster und doch auch Schatten und Schemen (man denke an den Ulysses!), werden als Werk zum Zitat. Kurzgeschichten hingegen sind Lichtquelle, ermöglichen die Fläche, zitieren dem Werk(e) zu.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

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