Besuch in einem alten Zimmer [2, 9]

Ich zeigte dir voller Stolz mein Domizil: die Bücher, gesammelten Schriften und Kinderzeichnungen, zwischen denen einzelne Fotos wie graugestrickte Bildideen zur Illustration einer Tageszeitung steckten. Wir erforschten den Rauminhalt der Schränke, maßen mit Blicken die möglichen Verwandlungen der darin aufgestapelten Schichten, und wenn das Auge an einem außergewöhnlichen Detail hängenblieb, gab es keinen anderen Weg, als das zunächst als taub erscheinende Gestein drumherum in einer Folge mühseliger, aber in ihrer Geduld stets auf das verfolgte Ziel bezogener Handgriffe abzutragen. Ich zeigte dir mein Museum. Du warst hingerissen – die mir so vertraute Welt war offenbar in deinen Augen ein unerforschter, geheimnisvoller Planet in einer noch nie von Außerirdischen besuchten Gegend des Universums. Ich wunderte mich über deine Begeisterung. Und in gewisser Weise war sie mir peinlich. Je weiter wir gruben, desto leuchtender wurden die zu Tage tretenden Visionen und desto seltsamer die wie aus dem Nichts auftauchenden Artefakte. Neben einer Blättersammlung aus heimischen Gefilden fand sich ein Herbarium fremdartiger Gewächse. Etikette und Fahrkarten mit unbekannten Schriftzeichen deuteten auf die Existenz fremdartiger Intelligenzen. Als wir bei der Käfersammlung anlangten, war mir für kurze Augenblicke zumute wie dem vom Feuer eines Zündholzes besuchten, sorgsam verpackten Inneren eines Treibsatzes von explosiver Zusammensetzung. Es hätte nur noch gefehlt, dass sich die Streichholzschachteln von selbst geöffnet hätten und die gedrungenen oder zartgliedrigen Wesen in Realisierung ihrer eigenen Lebenskraft daraus hervorgekrochen wären.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

3 Kommentare

  1. The Face, das Juwel der Popkultur, hatte bereits 1994 seine Produktion eingestellt. Aber die eine Ausgabe aus dem Mai 1987 hatte sie aufbewahrt, das Interview mit ihrem Idol, als die Journalistin ihn fragte, ob das wahr sei, dass er ernstlich krank war, dem Tode nah. Dass sich im Deutschland des 21. Jahrhunderts ein simples Life-Style Magazin ebenso benennen durfte, verstand sie nicht. Bedeutete es doch die Entweihung ihrer 80erjahre in London, die Verhökerung ihrer Jugend.

  2. Bücher und Menschen – sind es Menschen, die sich mit Büchern und Kinderzeichnungen einhüllen, als bildeten sie einen T34, gewappnet gegen die barbarischen Looser aus dem Westen? Die hatten das inzwischen vergessen und ihre alte Form, sprich Arroganz, wiedergewonnen, die kalten Sieger. Dachte Klopsig und zog sich in seine Tonne zurück.

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