Flucht und Wiederkehr

Gezeugt aus archetypischem Willen Leben zu preisen, gefangen in einer Zwischenwelt naiver Schaffensfreude, dem unsäglichen Regime eines mehr oder weniger beschränkten Reservoirs aus Träumen, Torheiten und Tabus unterworfen, verharrte das Bewußtsein, das unter Menschen Juliette genannt wurde, vor dem fast leeren Schaufenster Justines ehemaliger Boutique. Nur der, mit einem langen Schmiss versehrte, von abgebröckeltem Putz und Staub bedeckte, merkwürdig stolze Torso eines Dinges, das früher einmal eine vollständig funktionstüchtige Schaufensterpuppe gewesen sein musste, war noch hinter der dreckigen Scheibe zu erkennen.

Nackt werden wir geboren und nackt gehen wir von dieser Welt, nichts wird besessen, nichts gehört – und doch wird von dem, was uns kitzelt der unbewußte Ruf aus der Leere in die Leere erhört. Vor diesem unendlichen Schatten auf ewig versteckt  – und so für immer gewärmt, umhüllt, geborgen, ja weich gebettet: Justine.

Der schlafende Torso, Schöpfer seiner selbst, da im Innersten ungebrochen. Die leicht herausquellende Füllung am Riss nur Ausdruck teilhaftiger Individualität. Die Wunde: der Quell. Leid: der Fluss. Rostbraun wird die Sonne das benetzte Glas brennen.

Justines Kleider waren Juliettes Anker gewesen, hatten sie geerdet. Jene Röcke, die sich scheinbar nie vom Boden lösten, deren käfighafter Unterbau ihr zumindest die Illusion verlieh, über ein, wenn auch kleines, eigenes Territorium – nein  Königreich! – zu verfügen, das, einem  strengen Protokoll unterliegend, zwar täglich Staatsgäste unter Beachtung aller möglichen diplomatischen Gepflogenheiten zu empfangen und versorgen hatte – das aber de facto doch unabhängig war und bei Bedarf entschieden „na, na!“ zischen und die Delinquenten mittels eines unmissverständlichen Klappses unmittelbar ausweisen konnte, zumindest bis deren versoffene Armee gewaltsam einrückte.

Oh! Ursprung der Welt, welch Diamant! Geschliffen von Alexander, erneuerte Phryne,  die Hetäre, Thebens Wälle, dem Willen der Altvorderen  entgegen, sehr wohl  — sie richtete, mit einer Mischung aus zynischer Verachtung und überlegenem Stolz um sich blickend, ruckartig ihren imaginären Rock aus lustvollen, irdischen Versprechen und überließ, wie ein Kind zu den Göttern singend, die verblüfft kleinmütigen und zugleich unsicher erregten, vertrockneten Herrschaften einem unfreien, verhärmten Schicksal.

Erst der weit entfernte Schrei eines Hahnes, das matte Licht einer die Himmel mit Vergessen tünchenden Morgendämmerung und ihr zugleich einsetzendes, rasendes Zittern rissen  Juliette aus ihrer Trance. Bald würden bucklige Menschen vorbeischleichen, sich verschämt bekreuzigen, nur um  kurze Zeit später doch mit Decken heranzustürmen, sie sodann unter lautem Wehklagen an den Ofen ziehen, ihre Wunden mit leicht übertriebenem Fleiß versorgen, bevor sie später untereinander das Hohelied der eigenen Mildtätigkeit gegenüber jenem verstörten, jungen Ding, das gar Unaussprechliches erduldet haben musste anstimmten.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

16 Kommentare

  1. Ich empfehle, alle Adjektive zu streichen und damit dem völlig zugeschanzten Text damit den Ballast zu nehmen. Früher, zu meinen Zeiten, hieß das: Gervais Obstgarten. Manchen Dinge, die wir essen, sind schwer.

  2. So, und Sie, lieber Luftikus, kommen vor lauter Ballast nicht auf den Boden der Tatsachen zurück. Werfen Sie ein „damals“ und „n“ ab und genießen Sie die unbeschwerte Leichtigkeit!

  3. Traubenzucker! Ich empfehle Traubenzucker. Dessen Moleküle umschließen die Fructose und gleiten mit ihr unbeschadet durch den Darm.

  4. dann isst er eben elati – ohne g. oder er wirft seine kränklichkeit ab und fährt ballon. und wir beobachten, wie er langsam in den wolken verschwindet…

  5. Oh Kleist! Wie immer völlig deplatziert! Hier geht es um Textkritik und Sie kommen durch die Hintertür mit vorpubertärem Gequatsche! Und überhaupt: ich melde das beim Admin wegen diskriminierender Äußerung. weil, ob Sies glauben oder nicht, der Detlef (f nicht v), was mein Vetter ist, muss sich nun einer unangenehmen Darm -OP unterziehen. Nein, nicht wegen Fructoseintoleranz. Er hat seit der Pübertät eine Intoleranz dem weiblichen Geschecht gegenüber entwickelt. Und das hat er nun davon!

  6. als ich den text las, hatte ich währenddessen und danach vor augen: rosa rosa rosa. nackte haut. nur stellenweise und irgendwie auf links bekleidet. sehr europäisch und sehr selektiv.

  7. Das ist, in der Fassung vom 11.6. 6 Uhr (immer noch) ein sehr schöner Text. Ist er (oder wird er noch) Teil eines Epos? [Ich frage so ungeniert offen, weil ich mit den darunter stehenden Kategorien (?!) für etwas, das offenbar zwischen Textsorten und Leseeindrücken changiert, noch nicht ganz zurecht komme…}

    In vorliegender Fassung sticht der letzte Absatz ins Auge. Während alles zuvor Gesagte durchaus auf Mdm.e Pompadour zutreffen könnte, katapultiert uns dieses Textstück unversehens ins 19. Jahrhundert und liefert uns – ob nun freiwillig oder in einer Art „philosophischer Notwehr“ – dem lieben und hilflosen Friedrich, einem Jungen aus Naumburg, aus.

    Wohin dieser Weg – literarisch – führen kann, schauen Sie sich am besten selbst an: Ich empfehle, die Reise in Röcken zu beginnen. Nächste Station wäre dann Lützen, Sanssouci… Der Weg nach Paris ist weit; aber: führt er Sie tatsächlich über Stockholm?

    Letzte ]]spontane…\ Anmerkung. „Helfen Sie dem Mädchen nicht gleich, nicht so öffentlich dieses ganze Rosa über, welches sie – mit den Augen dieser öffentlichen Gleichheit gesehen – nie wieder – – ganz – – los würde“ (Sie könnte meine Tochter sein versus Einen rosa Hasen zu beleben ist wie eine Trift zwischen Ilias und Od y sseee) oder lieber Driften , ginge das – literarisch gesehen – auch?

    Mir ist klar: das hier sind fragen ans LOgische Ich. Bitte nehmen Sie die nicht persönlich. Oder: nehmen Sie die gerade so, aber halten Sie beides auseinander.

    Und ich sage damit nicht: Es lebe Preußen!

  8. Toplader, Frontlader oder Hinterlader? Jedesmal, beim Kauf einer neuen Waschmaschine, muss man sich diese Frage erneut stellen. Der Toplader ist bequem von oben zu befüllen, man vermeidet das Bücken (hier sollte generell vorsichtig sein, besonders in Berlin oder im Park). Der Nachteil ist ein rasch wachsender, schimmliger Belag rund um die Einlagestelle herum, da ein Toplader von oben schlechter trocknet. Der Frontlader, hingegen, macht es einem hier recht einfach. Die Luft kann fortlaufend von der Seite einströmen und hält alles schön trocken. Bravo! Mit einem Frontlader haben Sie eine gute Wahl getroffen, besonders, wenn Sie regelmäßig viel schmutzige Wäsche auf einmal waschen müssen. Ups! Ich glaube, ich muss grad mal die Wäsche raus nehmen. Und da muss ich mich auch schon bücken. Doch nun kommen wir zum eigentlichen: dem Hinterlader. Beim Hinterlader schlagen Sie alle Fliegen mit einer Klappe, denn hier ist Bücken explizit erwünscht! Alle Vorteile, die Top- oder Frontlader zu bieten haben, nehmen Sie natürlich mit. Und Sie können davon ausgehen, dass ein Hinterlader all‘ Ihre Wäsche macht.

  9. Die Frage, ob das hier Teil eines größeren Zusammenhanges (episch!) sein oder werden soll, habe ich mir auch manchmal gestellt. Ich kam noch zu keinem Ergebnis. Hatte aber eine gewisse Freude an der Auseinandersetzung mit dieser Textreihe, ähnlich der beim Kaugummikauen. Man kann die Kaumuskeln lange unbeschadet bewegen, reinigt seine Zähne dabei und obendrein nimmt man davon nicht zu. Die ganze große frühkindliche Beruhigungsstruktur läuft dabei mal so nebenher und gibt ein behütetes Grundgefühl. Doch irgendwann wird’s dann schal.

  10. All‘ diese Kategorien hier wurden zu einem beliebigen Zeitpunkt vom Admin vorgegeben. Doch wer hält sich schon gern bei vorgekautem Salat auf?

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert