Flucht und Wiederkehr III

Eine Milbe schaut die Sonne, ein Blatt reitet Sturm –

wenn hoch das Lauschen aufsetzt, rauscht leis ein Unterton

und tief in Traumtambourengeistern, groß wie klein,

hallt lachend, voller Mond, Unendlichkeit herein.

 

„Und? Was halten sie davon? Ist es nicht interessant?“

„Hm.“

Frau Altermann-Zupf schaute den Doktoranden mit ernster Miene an, unterdrückte dabei ihr diabolisches Grinsen jedoch nur unzureichend. So überraschte es sie nicht, dass er etwas irritiert wirkte. Sein naiver Idealismus und wissenschaftlicher Habitus würde ihn jedoch davor bewahren, ihr Reaktion auf etwas anderes als den vor ihr liegenden Text zu beziehen.

„Das ist kein Text, der im Literaturinstitut gelesen werden könnte.“

„Aber die Kontextualisierung der…“

„Nein. Um das für die Drittmittel-Finanzierung dieses Schuppens notwendige journalistische Medienecho zu erzielen und zusätzliche Reichweite durch Retweets und Blogeinträge zu generieren, brauchen wir was Knackiges, etwa Texte von Vergewaltigungsopfern, drastische Reportagen über die Lebensumstände von Drogensüchtigen vielleicht – aber mit Sicherheit keine, ich betone: keine…“ Frau Altermann-Zupf hatte mittlerweile den letzten Rest der Entgleisung ihrer Mundwinkel getilgt, „…mit Adjektiven überladenen Texte, die rosarot die unmittelbaren Brüche der Gesellschaft umschiffen und sich stattdessen in ein lyrisches Schattenreich verlaufen, wo Knetmassen-Pförtner mit Glaskugel-Schlipsen Marmeladenhimmeln vorstehen.“

Bonifazius Ahlkruppst wirkte leicht perplex, suchte nach Worten. Ihr war bewußt, dass er ihr die ‚doch eindeutig vorhandenen gesellschaftspolitisch relevanten Ansätze in Kombination mit einer stilistisch-ästhetischen Textexegese‘ aufzeigen wollte, aber er schien zu zögern, Vielleicht schwankte er zwischen einem unmittelbaren Aufbegehren oder einem weiteren Versuch zu einem späteren Zeitpunkt. Sie entschloss sich beides zu unterbinden.

„Sehen sie, Herr Ahlkruppst, ich verstehe, dass sie den Texten ihres Schützlings eine Chance verschaffen wollen, ja, es ihnen – wenn sie mir den Kalauer verzeihen – ernst wie einem Jünger damit ist.“
Sie ergriff die neben ihr liegende Mappe und reichte sie Ahlkruppst.
„Ihre diesbezüglich sehr fundierten, literaturwissenschaftlichen Ausführungen habe ich ja bereits in Augenschein genommen.“

Altermann-Zupfs Stimme klang nun langsamer und weniger streng.
„Es passt aber einfach nicht in die Ausrichtung dieses Instituts. Sehen sie, da sitzt dieser Autor, höchstwahrscheinlich Mitte dreizig, mit einer Menge Krümel im Bart, pfeift sich tagein-, tagaus Acid, Gras und Wein rein und schreibt, wenn er nicht gerade irgendeine Hipster-Internetklitsche administriert, verschachtelte Texte die eine krude, Sprache mystifizierende Philosophie transportieren, die von für 95% der Bevölkerung unverständlichen, literarischen, muskialischen und politischen Anspielungen ummantelt wird – und denkt sich, das sei dann Literatur! Ganz zu schweigen von den teils drei…“

Sie machte eine kurze, wohl kalkulierte Pause, „… Kommafehlern auf einer Seite – ja, er weigert sich sogar diese zeitnah zu redigieren!“

Ahlkruppst blickte nun verduzt aus dem Fenster, in der Ferne wuchs eine Trichterwolke wie ein Stalaktit gen Boden.

„Unsere Zeit kann keinen Rimbaud mehr hervorbringen, die nächste, tatsächlich neue Verdichtung wird von einer Maschine stammen – und wir werden sie nicht einmal verstehen, geschweige denn erfühlen können. Was wir aber vermögen ist: die Menschen eben da abzuholen, wo sie gerade stehen.“

Altermann-Zupf gratulierte sich, denn Ahlkruppst nickte, wenn auch in Gedanken versunken, geflissentlich.

„Sie haben, recht, so habe ich das ja noch gar nicht betrachtet, da ist mir meine priviligierte Stellung wohl ins Gehege mit dem Gemeinwohlinteresse dieser Institution gekommen. Wenn ich sie richtig verstanden habe, präferieren sie für die kommende Präsentation also einen sich auf Realismus beziehungsweise Sozialkonstruktivismus beziehenden Text?“

„Das ist mir vollkommen egal. Nur nicht diesen Mist, die Avantgarde – oder was sich dafür halten mag – kann mir gestohlen bleiben! Sagen sie, Herr Ahlkruppst, schreiben sie nicht selbst, anstatt nur zu beschreiben?“

Hätte Herr Ahlstrupp in diesem Moment die Haare von Frau Altermann-Zupf berührt, wäre er von einem Stromschlag erfasst und zu Boden geschleudert worden.

Doch er schaute wieder, wie gebannt, auf den sich näherenden Tornado.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

3 Kommentare

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert