Flucht und Wiederkehr IV

Ejnes Tages fjel ein Buchstabe
jm Kampf um das Wort
ejnes Tages war er frej und fort –
ganz ohne iegliches Gehabe

Ein Bekannter will nun anfangen zu schreiben, erzählte er mir kürzlich am Telefon.
Auf WikiHow, einer Online-Ratgeberplattform könne man hilfreiche Tipps zur Konstruktion eines Romans aufrufen. Charakterdesign, Setting und so weiter und so fort.

Da ich bei Setting eher an die Vorbereitung eines angenehmen LSD-Trips denke und zudem nach Schema F erzeugte Romane mir, einem überzeugten Kurzgeschichtler und Metafreak eher am Allerwertesten vorbeigehen, musste ich mich beherrschen nicht laut in den Hörer zu prusten. Die Absurdität der Situation wurde noch dadurch erhöht, dass Schreibversuche des besagten Bekannten bisher nie über grausam öde Gothic-Burlesken hinausreichten. Nichts was kitzelt, nichts was mein Denken jenseits einer expansiv apokalyptischen Kotzstimmung animieren würde.

Ich habe mich immer gefragt, wer Unheilig, Rammstein, Böhse Onkelz oder dergleichen hören mag, mein Bekannter ist wohl (obgleich er eher auf Elektro-Tracks steht, deren Videos mit kaum bekleideten Frauen-Standbildern unterlegt sind) der Prototyp, dem gehirnverbrannte Assi-Jünger folgen könnten.

Gleichwohl habe ich gute Miene zum bösen Spiel gemacht und ihm viel Erfolg gewünscht — denn dass besagter Bekannter etwas Konstruktives zu tun gedenkt, grenzt in Anbetracht seiner mir bekannten Lebensgeschichte durchaus an ein kleines Wunder.

Wir trafen uns vor ca. 10 Jahren, es muss das Jahr des ausgebliebenen Sommermärchens gewesen sein, erstmals im Stadtpark. Ein weiterer Bekannter, ehemaliger Schulfreund und Hauptkontaktperson des Betroffenen, wie ein Polizeibericht statutieren würde, stellte ihn mir vor.
Ein freundlicher Mensch, schulterlange Haare, gemessen an seinen Äußerungen etwas verrückt – es mag an den zahlreichen Joints gelegen haben, die wir an diesem Nachmittag konsumierten – dachte ich anfangs.

Im Laufe der Jahre – er und der andere Bekannte übertrieben es mächtig, sie waren keine Pegelkiffer wie ich – entwickelten beide dann laut Ärzteschaft eine cannabisinduzierte Psychose und er irrte, seiner Selbstausage nach eines Tages durch die Strassen, um Werwölfen und Riesenfledermäusen zu entgehen.

Seit jenen Tagen veränderte er sich. Der ehemals lustige, aber sinnlose Geschichten erzählende, naiv-freundliche Mensch ließ nun strikt die Finger vom Grün, und wandte sich sämtlichen Abbreviationen des Weißen zu, da die Ärtze ihm explizit nur den Konsum von Cannabis untersagt hatten, was in seiner neuen Weltsicht für das Böse schlechthin stand, rückte jenes, was ich seit jeher verabscheue und neben Sex für Geld und CDU/FDP-wählen zu den drei grossen „Never Ever“s meines Lebens zähle in seinen Fokus.

Das Weiße designte seinen Charakter und subtile Bosheit sowie Hinterhältigkeit lösten sein kindliches Gemüt, das ich durchaus als Freund bezeichnet hatte, ab. Seine Haaare waren nun kurz, sehr kurz, und er ließ sich einige Piercings stechen.
Eine Unterhaltung über ernsthafte Themen war mit ihm zwar nie wirklich möglich gewesen, aber statt gemeinsam lachend in eine Welt aus Gummischlangen spuckenden Springbrunnen einzutauchen wurde die Destruktion all dessen, was ich zu sagen gedachte sein Lieblingsspiel. Ich war angepisst und wir sahen uns oft für einige Monate nicht.

Gleichwohl wurde ich dank des besagten, gemeinsamen Bekannten über ihn auf dem Laufenden gehalten. Mir schien, es entwicklte sich eine gewisse Wiederholung in den Abläufen seines Verhaltens. So nahm er zwei, drei Monate exzessiv sämtliches Weiße, dessen er habhaft werden könnte, in den letzten Jahren vor allem Amphetamine, da die deutlich günstiger waren, ließ sich dann einweisen, suchte sich in der Psychatrie hilflose, an Bulemie oder sonstigen psychischen Störungen leidende Frauen und bandelte mit ihnen an, kam wieder heraus und begann den Kreislauf einige Wochen später von Neuem.

Erschreckend für mich war, dass er sich dieses Verhaltens durchaus bewußt war, denn dumm ist er nicht. Eher insofern verzweifelt, dass er, wenn er schon nichts Halt spendendes Gutes in seinem Leben zu finden vermag, alle um ihn herum herunterziehen möchte, dass er, wenn er schon keine „normale“ Partnerin kennenlernen kann, lieber der Erste unter den Letzten ist und insofern dominiert.

Ich lud ihn immer wieder ein, versuchte ihm – grün – die seinem Verhalten innewohnenden psychologischen Ebenen zu erläutern und insoweit es mir möglich war beizustehen, gleichwohl ich oft – von seiner vermeintlichen Empathielosigkeit angewidert – dann den Kontakt wieder abbrach. Der andere gemeinsame Bekannte, dem ein weiteres, trauriges Schicksal wiederfuhr, das eine eigene Geschichte verdient hat, brachte uns stets erneut zusammen, sie beide waren Brüder im Geiste und doch zugleich schrecklich einsam mit sich.

Der weiße Falter ging keiner geregelten Arbeit nach, hangelte sich von einer fadenscheinigen „Vorbereitungsmaßnahme“ zur Psychatrie und zurück. Neueste Ausgeburt dessen ist nun also, dass das Jobcenter ihn zu einem Kurs schickt, wo man Schreiben lernen kann und auf den er sich mit WikiHow vorbereiten will.

Ich wünsche ihm alles Gute, er kann es gebrauchen.

Faron Bebt
schreibt Geschichten mit bunten Botschaften und einem hartem Kern. Immer etwas dogmatisch, aus der Zeit gefallen, verstörend verträumt - wie letzte, angemalte Großstadtbunker --Farbbeton.

4 Kommentare

  1. hier wird aus einem milieu berichtet, von dem viele möglicherweise gar nichts mehr wissen. man bräuchte bereits jetzt einen längeren fußnotenkatalog, um eine allgemeinverbindliche verständlichkeit herzustellen.

  2. also, mein lieber Freund, Sex für Geld als nogo: schwingen Sie sich doch nicht heroisch für Ihre Feigheit auf! Wer das nicht probiert, hat im Grunde nur 2 Gründe: Entweder er/sie traut sich nicht, oder er/sie hat schlicht nicht das dafür nötige Kleingeld. Und was das CDU/FDP-wählen angeht: schwarzgelb sticht immer noch besser als rot/grün!

  3. Hier ist der Autor ausnahmsweise einmal mit dem schreibenden Ich gleichzusetzen. Denn wie sollte man sonst diesen Text mit dem des Pegelkiffers in Verbindung bringen?

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert