Denken ohne Gewalt

Chap. IV

Eduards Putenwelt

Zum Dekadenten muss man talentiert sein, man muss
seidene Nerven besitzen, die beim geringsten Luftzug
ein verwirrendes Stimmungs-Tremolo tanzen. Endlich
in den Handgriffen und Kunstpfiffen der Selbstpeinigung
Routine haben. Kommt zu dem allen noch eine
rationelle oder auch unrationelle Dosis von eleganter
Pose, ein Kursus in der Akademie für höhere Schminkkunst
– so ist der Dekadent fix und fertig.

Ottokar Stauf von der March in Die Gesellschaft 10, 1894/5

„Wie lange war Venus bewohnbar?“ Eduard stellte die Frage wie ein Lehrer. „Fast zwei Milliarden Jahre. Genug Zeit für eine Zivilisation. Heute sagen wir, sie war von Anbeginn zu nah an der Sonne. Wir haben einen Mond, wir sind das Gleichgewicht, Venus der Borderline-Case, die galoppierende Schwindsucht. Um sie herum ein heißes, bernsteinfarbenes Licht. Die Venus ist ein Symbol für uns geworden, für etwas…“

Eduard unterbrach sich, als Esther den Saal betrat, „fast nur russische Sonden sind dort gelandet, das Auge mit der Sicherheit längst geschmolzener Sonden machte sie für uns zu einem Kunstwerk. So wie die Venus von Botticelli eines ist, und so, wie das Modell unseres Zykluses es für uns getan hat. Esther hat etwas davon verstanden.“

Die Idee sei Denken ohne Gewalt gewesen. „Eduard, ich weiß jetzt auch, warum du uns vor dem Kochen klar gemacht hast, dass gewisse Dinge einfach nicht in Frage kommen. Ich pflichte dir bei, Puten werden nicht gegessen. Ich bin dafür, dass sie ihre Augen weiter ganz lebendig offen halten und uns beobachten, damit wir Teile der wahren Putenwelt werden können.“


crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

10 Kommentare

  1. Der Horror dieser Soße lässt sich nicht beschreiben. Ketchup und Mayo. Typischer deutscher Einheitsfraß. Der Hummer schwimmt in Butter. Der Bordeaux ist wärmer als die Kartoffeln. Das Dessert stammt wahrscheinlich aus einer Tube sowjetischer Kosmonautennahrung.

  2. Sie haben Recht. Nach fetten Weihnachtsgänsen, Enten und Schwänen liegt mein Text Ihnen schwer im Magen. Aber das liegt nicht (nur) an der Soße.

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