Vereinzelt Langeweile

Die literarische Klasse hat Leipzig verlassen. Auftritte der jungen unabhängigen Verlage sind außerhalb Leipzigs ein Publikumserfolg und stoßen auf regen Zuspruch. In Leipzig selbst haben sie jedoch kein Heimspiel: Die Leipziger lassen sie im Stich. Die Uni-Studentenschaft, einst berühmt für die Vielfalt der Orchideenfächer, rockt in den Diskokellern, zockt bei eBay oder hockt in biederen WGs. Die lokalen Medien entfachen keinen Trommelwirbel, um das im Untergang befindliche Verlagsgewerbe in Deutschlands einstiger Buchhauptstadt zu begleiten – mediales Schweigen als Grabkapelle. Die großen Verlagskonzerne haben der Stadt – mit Ausnahme des Kinderbuchverlages von Klett – den Rücken gekehrt. Kiepenheuer, Reclam, Insel – sie sind weg. Die Leser aber geben sich verwöhnt: Zur Buchmesse und bei hohem Besuch frisch gebackener Nobelpreisträger da erscheinen sie alle und wollen in der ersten Reihe sitzen, vom Oberbürgermeister bis zur Hobbyfotografin, die für ihr Kaffeekränzchen einen stolzen Schnappschuß von Prominenten benötigt.

Doch was hilft es zu jammern? Jammern gehört zum Verlegen, seitdem es dieses Geschäft gibt. Verleger sind unheilbar Hoffnungserfüllte – darin besteht gerade ihre Geschäftsidee: sie legen vor und spekulieren auf den späteren Gewinn, der immer häufiger ausbleibt, während die Kosten trotz Internet wachsen. Die jungen Leipziger Verleger aber können sich selbst an der Nase zupfen. Sie haben sich nichts überlegt, um ihren gemeinsamen Auftritt zum unglücklich benannten Festival „textenet.de“ zu gestalten, haben sich nichts überlegt, um den Laden zu füllen: weder ein gut gelegener Ort (der Josephkonsum ist eine besondere, aber keine besonders gut auffindbare und vom Laufpublikum begangene Adresse) noch eine besondere Zeit (die gleichzeitige Präsentation der Verlage mit der Eröffnung der Jahresausstellung hätte Kunst- und Literaturinteressierte zusammengeführt). Die Lesungen waren langatmig und bis auf eine Ausnahme komplett humorfrei. Es wurde keine Musik gespielt und es gab keine anständige Versorgung mit Kulinarien und spirituellen Getränken. (Geraucht wurde wie überall unspektakulär draußen vor der Tür …) Nicht einmal Schauspielstudenten waren eingeladen worden, die Texte der notorisch schlecht lesenden Autoren zu rezitieren. Es fehlten Youtube- und DJ-Einlagen, um den Textmarathon aufzulockern. Dem Moderator fehlten Biß und Beharrlichkeit, wahrscheinlich überhaupt ein übers naive äußere Wissen hinausgehendes Verständnis der Verlagsszene, um spannende Fragen zu stellen.

Also muß sich niemand wundern. Soviel Veranstaltungseinfalt wird selbstredend bestraft. Als hätte es das Publikum, das durch Abwesenheit glänzte, schon vorher gewußt. Auch wenn andernorts – zum Beispiel in Dresden oder München – das Interesse an der Literatur selbst noch genügt, um die Lesenden herbeizulocken. Freilich hätten – und dies ist der Hauptschmerzpunkt – sich die jungen Verleger zusammenschließen und nicht allein auf den trögen Veranstalter verlassen dürfen, sie hätten dagegen rebellieren müssen, daß sie zu Langweilern abgestuft werden, hätten sich mit ihren Vorstellungen durchsetzen müssen, um ein lohnenswertes Ereignis zu schaffen. Bücher allein genügen – heutzutage – nicht. Die Öde der Verlagspräsentation hatte also unmittelbar mit dem Einzelkämpfertum der Beteiligten zu tun, die sich lieber gegeneinander verschanzen und ihre subtilen Eitelkeiten kultivieren, als zu kooperieren, Ideen und Schlagkraft zu gewinnen. Wenn dieser Sonnabend etwas gezeigt hat, dann daß es gilt, die Vereinzelung zu überwinden.

3 Kommentare

  1. lieber arno schmidt,
    sollte es etwa ihnen, dem aufmerksamen zeitgenossen, entgangen sein, dass die uni-studentenschaft derzeit existentielleres umtreibt als hingehaucht belangloses ehemaliger kommilitonen?

  2. Lieber Arno Schmidt, Sie bescheinigen der gehörten Literatur Humorfreiheit. Das ist gut. Wie jedoch geht das an? Welchen Lesungen sind Sie gefolgt? Oder könnte es sein, dass Sie eine andere Form des Humors bevorzugen? Bitte um Stellungnahme.

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