Chorin (7)

Bauwerk aus Raum und Zeit

Grundbestimmungen: Material, Melodie,
Gesamteindruck.

Elemente: Stein auf Stein, Ton an Ton.
Raum & Zeit, gegliedert.

Art der Ausführung: zum Vergleich –
Gransee im Norden, auch im Süden
klobige Genialität.

In einem Stück gedacht,
ein Art
geometrischer Moloch.

Nichts dergleichen
hier – –

das Denken des Schöpfers
war
gefiederte Schlange,
Metapher nicht & nicht Möchtegern,
eine Schöpfung
aus Atomen.

Die Frage bleibt: Panharmonie
oder erzwungenes Gleichgewicht?

Erst 1789 erkannte
der junge Gauß, dass
man das Siebeneck regulär
nicht bauen kann. Und
konstruiert daraus
das Siebzehneck.

Woher diese Musik?
Wie ist dieses beredte
Schweigen möglich?

Brummen bei fünfzig Hertz,
Herzschlag – – – oder Hintergrund?

Nur ein gelungenes Bauwerk
aus Raum und Zeit,
grazile Vorderfront ge
gliederter Zeit auf dem
nächtlichen Hintergrund des Vergessens
ihrer
unmerklichen Bewegung.

J. W. Rosch
geb. 1967 in Charkiv, lebt in Frankfurt am Main. Gedichte, Prosa, Roman. Bisher bei LLV erschienen: Jokhang-Kreisel. Gedichte und kurze Prosa mit Zeichnungen von Anna H. Frauendorf (2003), Goðan Daginn. Gedichte. Mit Radierungen von Mechthild Mansel (2010).

5 Kommentare

  1. Lieber W. Rosch,

    der Text, als Fließtext geschrieben, würde sich eher für eine bauliche Beschreibung eignen denn als Gedicht.

    Lieben Gruß, Antigone

  2. Sehr geehrte Frau,

    mich irritiert an Ihren Kommentaren zunehmend die – vermutlich inszenierte – Selbstgewissheit im Kategoriengebrauch. Sie haben eine feste Vorstellung von: 1) einer baulichen Beschreibung, 2) einem Gedicht sowie sogar 3) von deren Beziehung zueinander.
    Aufgrund von 3) gehen Sie davon aus, dass es sich NUR um einen Kontrast handeln könnte. Dem steht zum Beispiel der Inhalt einer einfachsten metaphorischen Aussage wie: „Dieses Bauwerk ist ein Gedicht“, entgegen.
    Ihr alternativer Deutungsversuch, das ‚Fließtextexperiment‘, entspricht hingegen haargenau der vom gedeuteten Text ausgedrückten Richtung. So scheint mir Ihr Kommentar also auszudrücken, dass der Text bei Ihnen eine Irritation auslöst, die zu groß ist, um darauf einfach nur mit einer Form der Stille, z.B. vorsichtiger Reflexion, zu reagieren.
    Also, rein formal gemeint und in minimalistischer Reaktion auf Ihren Kommentar, die Gegenfrage: (2 Teile)
    1. Wie müsste in Ihren Augen ein Bauplan aussehen, der zugleich mit einer Realisierung seiner Funktionen als Bauplan Gedicht wäre?
    2. Was wäre – also: Ist es überhaupt denkbar? – in Ihren Augen ein Gedicht (allgemein: ‚Kunstwerk’…) das sich als „Konstruktionsbeschreibung“ eignete?

    Schönen Gruß,
    Micha

    P.S. Damit ließe sich natürlich ebenfalls streiten über die Differenz von Konstruktionsbeschreibung und Bauplan.

  3. Danke für den klaren Bauplan. Nun kanns wieder weitergehen. Und alle: Bau auf, Bau auf, Bau auf, Bau auf…!
    (Und für unsere westdeutschen Mitmenschen: Schaffe, schaffe)

  4. Aber war er denn jemals gesund gewesen? Er konnte sich nicht erinnern. Die Kindheit war für ihn
    eingehüllt in dasselbe schwammige, durchäderte Blau. Und seine Pubertät, eine erste Liebe? Nein, er
    hatte nichts dergleichn gekannt. Er, der die meiste Zeit über seinen Büchern verbrachte und seine
    wenigen Habseligkeiten, sein geringes Taschengeld gegen neuen Lesestoff aus der Quantenphysik
    eintauschte. Die Bleiche, die sich allmählich auf seiner gesamten Haut zu zeigen begann, die irgendwie
    zu leuchten schien, ein Widerschein fremder Planeten und Sonnensysteme, die seine Eltern
    vorübergehend in große Besorgnis versetzte – all das war in den Jahren. Ausgedehnt in Jahre ohne
    Jahreszeiten, geteilt in windige Sommer, milde Winter ohne längere Perioden von Sonnenschein,
    Lampenlicht, in das Klappern von Mutters Absätzen nach und vor den Nachmittagsstunden. Kaum
    Schulaufgaben, wenige Freunde – und dann sah er plötzlich dieses Mädchen. Sie kam von einem
    fremden Planeten. Ihre Ohren waren zu groß geraten und ihre Augen zu violett für eine irdische Gestalt.
    Sie war von überdurchschnittlicher Grö0e und ungewöhnlich mager proportioniert, ihre Haut noch
    bleicher als die Leons. Ihre Uhr, ihre biologische Uhr tickte anders und ohne jede irdische Order – das
    ahnte Leon auf der Schwelle zur Schulbibliothek, wo er ihr zuerst begegenete. „ Es sind diesmal mehr
    als vier Minuten.“ Mit diesen Worten trat sie an Leon heran, unwissend, wen sie da genau vor sich hatte,
    und berührte sanft seinen Rücken, auf dem sich jeder Wirbel unter dem dünnen wollenen Jackett
    einzeln abzeichnete.

  5. Offensichtlich ist er nie richtig gesund gewesen. Seine Kindheit liegt vor ihm wie das Innere eines Guckkastens.
    Schwammig geht ein unsichtbares Walten durch die Wände, von denen die Bühne umzingelt ist.
    Pubertät, was für ein pubertäres Wort.
    Libertär wäre besser.
    Also:
    L:iber:tee! Liebe/r T.,
    Ich schreibe Dir heute ohne Grund,
    aber auch das wirst Du wahrscheinlich nicht verstehen.
    Wie eigentlich immer und alles, was wir uns bisher noch nicht
    zu sagen hatten. Mutters Absätze,
    gar kein Problem.
    Problematisch waren eher die schweren Parfumes
    mit zwölf. Berrlinah Opah. Später wurde es natürlich nicht
    besser, der Geruch. Aber Absätze
    sind „Schmetterschrittchen“, fast
    Schnatteriiehhnchen
    und so eine große Schwester
    hätte natürlich jedes Gleichgewicht
    gehörig nach der einen Seite, ja gerade mehr
    nach der einen als nach der anderen Seite verändert.
    Zum Schluss noch die Schulbibliothek, weil Du es bist… die Bücher
    dort hatten natürlich nichts mit dem zu tun, was mich
    damals interessierte. Jemand, der sich dort
    in seiner Freizeit!
    anstellte, musste schon reichlich un
    oder überaus geglichen sein, seine
    Gleichungssysteme wären ver
    mutlich mit der ersten
    Umformung in die Luft
    geflogen und nicht
    immer zum
    Mars!!
    Du Augen mir gegenüber hatten wirklich einen
    streng
    mathematischen Glanz

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