venen im pelz

An der leipziger skala läuft ein stück, das die grenzen herkömmlichen bühnentheaters sprengt und dennoch theaterspiel mit vorgegebenen rollen bleibt, sich nicht in improvisation auflöst. Die rede ist von „im pelz“, einer bearbeitung, die katharina schmitt an der „venus im pelz“ von leopold sacher-masoch vorgenommen hat. Dem programmzettel zufolge hat sacher-masoch vier jahre in leipzig gelebt, ohne daß die stadt von ihm notiz genommen hätte. Der ruhm, der sacher-masoch mit der figur des devoten liebhabers ereilte, war ihm unangenehm, beinahe peinlich. Dabei gelingen ihm einsichten in die machtverhältnisse der liebe, wie sie sonst nirgends zu lesen sind. Bereits die gutbürgerliche sitte des kuchenessens mutiert erst zum sadomasochistischen spiel, am ende zur würgefolter. Weiter gehts mit fußbodensauberlecken, woran „schon viele gescheitert sind“. Es wird im stück nicht gezeigt, was auch nicht nötig ist. Den höhepunkt bildet die persiflage heutiger exerzitien mit der peitsche, wie sie im sm-studio üblich zu sein scheinen. Das eigentlich besondere der inszenierung ist die platzierung des publikums: anstelle der sitzreihen lag ein riesiges fell auf dem boden ausgebreitet, auf dem sich die zuschauer – nachdem sie ihre straßenschuhe gegen filzpuschen getauscht hatten – niederließen, sich ausstreckten oder räkelten. Die beiden schauspielerinnen – keineswegs im pelz, sondern kontradiktisch in weißen baumwollkitteln, fast medizinisch – schlängelten sich zwischen den leuten durch, sprangen um einen schwebebalken herum, der den raum teilte. Die sitzordnung hatte etwas von wg-party, die pärchen kuschelten sich aneinander, es war eine lust, mit so unterschiedlichen leuten auf dem boden zu lungern. Die schauspielerinnen erzielten eine unmittelbarkeit, die eine bühne der unvermeidlichen distanz wegen verhindert hätte. Nur ihre stimmen und die vorgegebenen rollen zeichneten sie als schauspieler aus. Sie verschmolzen nicht mit dem publikum, aber waren ihm zum anfassen, fast schaurig nah. Im unterschied zum kino, das seine wirkung allein mit audiovisuellen illusionen erzielen muß – diese art der inszenierung schafft, was dem kino versagt bleibt. Mit dem verzicht auf die bühne behauptet das theater eigenständigkeit, bietet einen mehrwert weit über frontalberieselung hinaus: chillen und unterhaltung, sinnliche berührung und quasi philosophisches sinnieren in einem. Dann wurde es dunkel, sogar die beleuchtung der notausgänge erlosch, es war eine absolute finsternis, an die sich die augen nicht gewöhnten, und in diese finsternis hinein tönten aus wechselnden richtungen zwei stimmen, sonst nichts. Die szene steigerte sich noch, wieder bei licht, als der devote liebhaber, um sich noch mehr zu quälen, nach einem zweiten mann verlangte. Er wurde tatsächlich von einem mann gespielt, einem mann mit ordentlichem brustfell, dem später in ein echter fellmantel übergeworfen wurde. Als der mächtige mann erschien, begann der liebhaber zu zittern. Die realität der konkurrenz hatte er sich anders ausgemalt. Er wollte das masochistische spiel beenden, doch längst hatte es eigenleben gewonnen, die anderen beiden setzten es einfach fort, aus spiel wurde ernst. Um es nicht einzugestehen, spielte er wider willen wieder mit und ließ sich – symbolisch – fröhlich auspeitschen – und schluß. Nein, ein detail habe ich unterschlagen: der mächtige mann im pelz erschien von der seite und hinter ihm bedeckte ein montagsdemofoto mit devoten ddr-gesichtern die gesamte wand – mit einem schlag erhielt der privat anmutende dialog der kurgäste zu den machtverhältnissen in der liebe eine politische dimension, ohne daß es mit einem wort gesagt werden mußte…

3 Kommentare

  1. Eduard

    Das Arschloch.
    Es öffnet, es
    Schließt
    Sich, dann
    Kneift er es zu.

    Tendenziell
    Rosenfarben,
    mit kleinen grünen
    Pünktchen, wie
    Niedlich.

    Man müsste mal
    Den Markt
    Anrufen, vielleicht
    Gibt es dort frisches Gemüse:
    Grünen Salat, gelbe Paprika, linsen, bohnen, alles
    Was
    Das Herz
    Begehrt.

  2. Was ist ein dramaturgischer Einfall? Eine Adaption, im Ganzen wohl immer Trope, eine Stellungnahme, die vom Gehirn des Zuschauers Rechenschaft fordert: im Film die fast schon klassisch zu nennende Überblendung etwa einer vollreifen Tomate mit dem gerade im Meer versinkenden Sonnenball, oder wenn nach dem Ende des Gemetzels über dem Canyon, dessen steinerne, nach oben hin offene Kontur allmählich verschwimmt und im Verschwimmen die Ahnung eines neuen Auftauchens erzeugt, plötzlich – Negativform der einmauernden Steine – der Kopf des alten Häuptlings erscheint, um nach dem folgenden Schnitt als fast vergessener Goldklumpen aus der Satteltasche des in die Totale davonreitenden Haupthelden heraus, quasi aus dessen mittlerer Hinterseite, das Auge des Betrachters mit überbelichtender Kontrastkraft so zu blenden, dass der Film hier nur noch enden kann … Und wozu das Ganze? Es ist die Inszenierung eines Geheimnisses, das (in verständliche Worte verwandelt) ähnlich unverständlich klingt wie die Propositionen „Die Erde von außen ist eine überreife Tomate direkt vor deiner Nase“ oder „Nun reitet der Held davon in die Zukunft, beschirmt vom Geiste des Alten, und ihr, verehrte Zuschauer, seid mit euerem aufgewühlten, geblendeten Blick bei ihm nun am Arsch“. Man könnte die metonymische Kunst freilich auch weniger massenwirksam, dafür aber vielleicht etwas grundsätzlicher im Sinne einer geheimnisbildenden Instanz auffassen. Dafür müsste dem Geheimnis eine gewisse dauerhafte Gestalt zukommen können. Vorschlag: Die Halbwertszeit einer Trope bemisst sich nach der Anzahl der Lektüren, in deren Folge die Hälfte der Leserschaft den Text beiseite legt mit der Bemerkung: „So’n Mumpitz.“ – So könnten, zumindest theoretisch, Rezeptionsästhetik und Strukturalismus prinzipiell zusammenkommen, vorausgesetzt, es wird auch künftig gelesene Texte und denkende Leser geben.

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