Das Testament der Gräfin Ulrike – Kapitel 2

Das Testament der Gräfin Ulrike, Kapitel 2

„Mein lieber Herr Knippel!“ Gräfin Ulrike von Rheinstein, eine gutaussehende, gepflegte Frau höheren Standes, saß in ihrem Stammsessel, einem altmodischen Ungetüm von erstaunlichen Ausmaßen. Sie hob lächelnd den Finger. „Ich versichere Ihnen, lieber Knippel, dass ich mein Wort wahrmache. Der Kunstverein der Stadt liegt mir am Herzen, ich werde ihn in mein Testament aufnehmen, niemand wird sich beschweren müssen.“

Der Maler Friedemann Knippel, heute im Auftrag des städtischen Kunstvereins zu Verhandlungen mit Gräfin Ulrike entsandt, verbeugte sich, so gut es ging in dem altmodischen Sessel. „Dessen bin ich gewiss, Frau Gräfin“, sagte er. „Unser Ahnherr, unser aller Vorbild, der Maler Robert Meierfelder, würde erfreut sein. Schade, dass er Ihre Großzügigkeit nicht mehr erleben kann.“

„Ich hoffe, Sie erscheinen als Dank“, Gräfin Ulrike lächelte, „zu meiner Trauerfeier wenigstens mit Trauerflor. Wenn dieser, Sie werden verzeihen, lieber Friedemann, dieser bemerkenswerte Aufzug schon sein muss.“

Friedemann Knippel errötete unter seinem Bart. Hastig knöpfte er die abgeschabte Samtjacke über dem Bauch zu.

„Ich werde Ihnen eine kleine Summe anweisen lassen“, meinte die Gräfin, „damit Sie sich einen anständigen Straßenanzug kaufen können. Immerhin, als Vorsitzender des Kunstvereins haben Sie auch mit der gewöhnlichen Welt zu tun.“

Wieder errötete Knippel. „Aber nur noch zwei, drei Jahre“, warf er ein, „dann werde ich abgelöst. Bis dahin“, er sah an sich herunter, „wird mein Aufzug hoffentlich standesgemäß sein. – Sie sind zu großzügig, verehrte Frau Gräfin!“

„Aber Knippel, Lieber!“ Gräfin Ulrike lachte auf. „Ich weiß doch, dass Sie sich um den Vorsitz geradezu gerissen hatten. Ach, und was werden Sie tun, wenn die Ablösung kommt?“

„Malen, Frau Gräfin, malen! Nichts als malen. Die Arbeit für den Kunstverein frisst mich auf. Auch wenn man mir das nicht gerade ansieht. Schließlich bin ich der einzige noch lebende Schüler unseres großen Vorbildes Robert Meierfelder. Und der Jüngste bin ich leider auch nicht mehr.“

Gräfin Ulrike wurde ernst. „Ja, der berühmte Meierfelder.“ Einen Moment lang versank sie in Schweigen. „Auch er“, meinte sie dann seufzend, „auch er hatte keine Kinder.“ Ein schmerzliches Lächeln überzog ihr Gesicht.

„Das war ein Glück für die Stadt, Frau Gräfin! Was wären unsere Ausstellungsräumlichkeiten ohne seinen Nachlass! Wer weiß, wie der Nachwuchs entschieden hätte!“

„Nachlass, für dessen Erhalt die Stadt nun mich für zuständig hält!“ Gräfin Ulrike lacht schon wieder.

Knippel blinzelte. Der Vorschlag, Gräfin Rheinstein die finanzielle Sorge um den Nachlass des berühmten Sohnes der Stadt ans Herz zu legen, war von ihm gekommen.

„Aber ich bin Patriotin genug, mich dieser Aufgabe gewachsen zu zeigen“, sagte die Gräfin, „voll und ganz. Aber schon recht, lieber Knippel, schon recht. Bekommt nämlich die Stadt mein Vermögen nicht, geht es an den Staat. Eines Tages …“ fügte sie melancholisch hinzu.
„Ich bin schließlich alt genug, um endlich abtreten zu können. Und der Kunstverein wartet.“
Sie lächelte ironisch.

Friedemann Knippel erhob sich. „Frau Gräfin …“

„Sie bleiben doch noch zum Essen? Ich will Sie nicht drängen, es gibt ausgezeichneten Rehbraten, von meiner Herzensköchin Marietta zubereitet. Ich esse nicht gern allein, und meine gute Freundin, die Lichterfeld, kommt erst am Nachmittag vorbei.“

Knippel verbeugte sich. „Wenn die Frau Gräfin mich so charmant erpressen, was bleibt mir übrig?“

Marietta steckte den Kopf zur Tür herein. „Will die Frau Gräfin, dass ich zwei Gedecke auflege? Oder will der Herr vom Kunstverein schon gehen?“

„Zwei Gedecke, Marietta. Dem Herrn Knippel gefällt es bei uns, er tut mir den Gefallen, mit mir zu speisen. Er schätzt deine gute Küche. Erst eben hat er kaum Worte für deinen berühmten Rehbraten gefunden.“

So viel Lob hatte Marietta nicht erwartet. Leise schloss sie die Tür.

Angelika
Bin 75, Rentnerin, alleinstehend. Denke mir Geschichten aus, um die Leute zu erfreuen.

28 Kommentare

  1. „Hoffentlich holen die uns nicht nach vorne zu so einer Mitmach-Aktion“, sagt Hornberg zu Iva, während er an seiner Jacke nestelt und das Gesicht verzieht. Iva lacht. „Ganz bestimmt holen sie dich nach vorn, Andreas.“ Sie sitzen in der ersten Reihe, direkt vor der Bühne. Iva hat die Plätze ausgesucht. Eine clevere Frau, denkt Hornberg, eine, die sagt, Versuch macht klug und ein Autogramm von Franz Hohler ergattert, ohne sein Buch zu kaufen. Nur einmal war ihr das Brot nicht aufgegangen, weil Hornberg abgelaufene Hefe gekauft hatte. Er drückt sich an die Wand hinter dem Signiertisch und betrachtet die Menschentraube um Franz Hohler mit skeptischen Blicken. Er kauft kein Buch. Gut, dass Iva da ist. Bei Dingen, für die Hornberg einiges an Toleranz aufbringen muss, reicht ihr ein bisschen Humor. Auf der Bühne liest Martin Suter aus seinem neuen Roman. Ein sympathischer und erfolgreicher Mann. Da wir die Zeit nicht anfassen können, existiert sie nicht.

  2. Der Kleber heißt Trivial.
    Zähes Zeug. Wie die Weihnachtsgans.
    Durchsichtig. Wie die Freude über Socken.
    Banal eben.
    Aber es geht vorbei. Wie jedes Jahr.

  3. Lieber Kreon, selbstverständlich, es ist ein Trivialroman. Habe ich ja auch angekündigt. Es gibt Leute, die glauben, sie würden darüberstehen, und konsumieren täglich BILD. Wo ist der Unterschied?

    1. Ich bin der Meinung, wenn ich jetzt auch mal was sagen darf, dass es hier nicht darum geht, wer hier über was „drübersteht“ oder wer hier BILD konsumiert. Wenn die Intention hinter diesem Text „Trivialroman“ heißt, so bedeutet das noch lange nicht, dass es auch einer wird. Das entscheiden die Lesenden. Einen Verlag, der diesen Text bei sich irgendwo eingruppiert und in irgendeiner Form publiziert hat, gibt es vermutlich nicht. Ich finde, und das ist nur meine Meinung, dass man seinem Text Gewalt antut, wenn man ihn, nach dem man ihn vielleicht mit einer Intention geschrieben und auf die Menschheit losgelassen hat, sogleich mit einem Genrebegriff plakatiert. Zugegeben, große Lust, ihn zuende zu lesen, hatte ich von Anfang an nicht, aber nachdem er so gelabelt wurde, schon gleich gar nicht mehr. Das ist mir alles zu plakativ und zu durchsichtig und tut dem Text nichts Gutes.

  4. Kreon meinte, die Verbindung zwischen Ihrem und meinem Text, das Gemeinsame, sei das Triviale. Beide Texte gehören dem Genre der Trivialliteratur an. Das ist fein beobachtet. Und: erkennen sie bei aller Gemeinsamkeit auch den Unterschied?

  5. Wer ist sie? Weder weiß ich, was Kreon meinte mit seinen Rätseln, noch habe ich deinen Text gelesen. Trivialliteratur ist ein anerkanntes Genre der Literatur, dem immer etwas leicht Schmuddliges anhaftet. Macht mir aber nichts aus, mir hat es Spaß gemacht, auch mal so etwas zu schreiben.

  6. Weder war es ein Rätsel, noch schwer zu verstehen, liebe AntiähAngelika. Selbst das Schwanfleisch hat es kapiert: der Zusammenhang zwischen den Hornbergtext und dem Gräfingroschen ist eben das Trivial. Was war den daran so unklar? Keiner mokiert sich hier über das Triviale, hat ja auch seine Berechtigung. Weiter machen. Wenns Spaß macht. Ist doch eh egal, was hier steht.

  7. Ja, es ist die Lust, mal so richtigen Schwachsinn zu schreiben. Warum nicht?
    Andere tun es doch auch, und das massenhaft. Mit wirklicher Bemühung um die Literatur, wie ich bei einigen Verfassern begreifen musste, kann hier vermutlich kaum jemand was anfangen. Davon muss ich von vielem des Gelesenen ausgehen.

    Und weil es so schön ist, folgt nun das 4. Kapitel des „Testaments der Gräfin Ulrike“.

    1. Nur weil andere das tun und massenhaft, muss man es noch lange nicht nachmachen. Und? Den Massengeschmack dieses blogs getroffen? Ich habe nach all den Jahren hier dennoch nichts Vergleichbares gelesen. Der Roman ist schon ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal geblieben.

  8. Siehste, jetzt haste es endlich! Schreib, was du willst. Sei, wer du willst. Und? Musste erst hier der ganze Stress der letzten Zeit sein? Nein. Ewig diese Anspruchsgedanken!
    Und nun tritt nicht weiter nach und verkneif dir die Häme. S‘ ist Weihnachten!

  9. Lieber Kreon, das ist ausgesprochen nett, dass du mir zu schreiben erlaubst, was ich will. Und von welchem Stress redest du? Hier herrscht ja ein Ton zum Wegrennen, muss ich schon sagen.

  10. ’s ist gut Angetigone. Keiner schreibt dir was vor. Und hier herrscht auch kein rüder Ton. Lies in und nicht zwischen den Zeilen. Der Friede sei mit dir!

  11. ’s ist gut Angetigone. Keiner schreibt dir was vor. Und hier herrscht auch kein rüder Ton. Lies in und nicht zwischen den Zeilen. Der Friede sei mit und vor allem in dir!

  12. Kreon, wenn du dir mit irgend jemanden in den Haaren liegst, dann bitte ich dich freundlich, mich damit zu verschonen. Ich komme hier rein, ahnungslos, freue mich, dass ich hier auf so viel Prosa getroffen bin, und dann kommst du und liegst mir mit irgendwelchen Geschichten in den Ohren. Wie kommst du mir denn vor?

  13. „Schwachsinn schreiben“: Es gab Zeiten, da nannten wir es „Mist einstellen“. Und Mist hat den Vorteil, fruchtbar zu sein – das weiß jeder Gärtner.

  14. „Da wir die Zeit nicht anfassen können, existiert sie nicht.“ Ja, aber die Schrumplei in meinem Gesicht, die kann ich anfassen. Und sie ist schließlich ein Produkt der Zeit?

  15. Ähm, geht auch DIE…?
    Falls es Probleme beim Gegenwerten Sprachgebrauch gibt (der übrigens bei unseren englischsprachigen und skandinavischen Freunden mit der Muttermilch eingesogen wird), lautet die Empfehlung: neutraler Ausdruck:
    Sei, wer du bist!

    Und schwups, schon sind ALLE einbezogen!
    Wars schwer.
    Nein.
    Also dann, was hindert?

  16. Uups: Probleme beim gegenderten Sprachgebrauch. Wie bezeichnend, dass die Autokorrektur das Wort nicht kennt. Immer sperren, die Deutschen. Immer dagegen. Piefiges Land eben. Steckengeblieben in den 50/60ern. Und nun noch Vintage, Old Shabby, back to Nierentisch. Moderne? Hatten wir schon mal, müssen wir nur ein wenig abstauben und schon glänzt es wie NEU.

  17. Ach hier stand das ja, den Blog mit meinem Trivialroman überschwämmen. Ja aber warum denn nicht? Verstehe ich nicht. Ist doch in Ordnung. Wie gesagt, ich verstehe zwar immer noch nicht, warum das hier nun ein Trivialroman sein oder werden soll, aber das ist, glaube ich, auch gar nicht so wichtig. Interessant ist, sie will nicht überschwämmen und findet den Text trivial – und dennoch tut sie es. Warum? Wieder oder immer noch, stehe ich auf dem Schlauch.

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