Geräusche in Beijing

Um sechs Uhr tritt der Hausherr auf die Straße
räkelt sich & spukt : nachdem er die Lunge
gut geprüft hat : ob sie noch zu trompeten
vermag : die Nachbarin keift mit dem Kind

die erste Kreissäge heult auf : ein Streit
entzündet sich an hartgekochten Eiern : die auf den Boden
knallen : jetzt wird aus allen Ecken geröhrt
& gespuckt : die Erde bedeckt sich

mit Aulen : glitschig & klebrig zugleich
aus dem Mund des zartfühlenden Mädchens : das eben
noch ins Handy haucht : landet die feuchte
Botschaft vor meinem Fuß : jede Putzfrau

ist per altersschwachem Funkgerät mit der Chefin
verbunden & schreit : wo sie ihr tägliches
Werk beginnen soll : jeden Morgen aufs Neue
auf einem Lastendreirad zieht der Altstoffhändler

seine Runden & kündigt mit melancholischem
Mantra sein Kommen an : wie ein tibetisches
Gebet folgt ihm der Singsang der Flaschen-
sammlerin : während ich Geräusche sammle

Theodor Holz
geb. in Dresden im Herbst 1989, hab die Wendewirren mit der Muttermilch aufgesogen, Pflastersteine wurden aus dem Bahnhofsvorplatz gerissen und flogen knapp an meinem Kinderwagen vorbei, meine Mutter konnte ihren Beruf als Jungpionierleiterin auf dem Albrechtsberg nicht mehr ausüben, sie nahm an einer Umschulung zur Altenpflegerin teil, während ich brav die Kreuzschule besuchte.

5 Kommentare

  1. „die Nachbarin keift mit dem Kind“

    Das gab es doch auch auf der Brockhausstraße! Das findet überall statt. Leute, die mit Kindern keifen. Kann man das nicht so konkret machen, dass es auf keinen Fall in der Brockhausstr. spielen kann?

  2. Doch jetzt: Die hartgekochten Eier knallen auf den Boden. Herrgott Sakrament! Nicht einmal im tiefkatholischen Bayern habe ich dergleichen erlebt. Sie machen das ganz plastisch, und keiner, der es liest, glaubt, diese Situation schon einmal so gesehen.

    (Es gab da mal so ein Hörspiel mit Schnitzler. Das war auf einer CD, die sich mit Literatur der frühen Moderne beschäftigte, also nur ein Ausschnitt von Schnitzler, der die Promiskuität (schreibt man das so?)in Wien beklagte (oder feierte?) Jedenfalls rief da einer mitten in der Nacht aus: Herrgott Sakrament, wobei die letzte Silbe verschluckt oder überschattet wurde vom kl. Herzinfarkt.)

  3. Das Hauptaugenmerk lag anfangs auf der Straßenbeleuchtung. Das war besonders den Stadtvätern ein Anliegen, hatten sie doch schon um 1849 zehn Petroleumlampen angeschafft, um der „Unsittlichkeit“ Herr zu werden. Ihnen war aufgefallen, dass sich des Nachts in dunklen Ecken immer wieder Paare „unzüchtig“ verhielten. Viele Orte veranstalteten Lichtfeiern, und der Iphöfer Joseph Wankmüller hielt den besonderen Moment in seinem „Wirtschaftsbuch“ fest, das Teil dieser Ausstellung ist: „Am 17. Januar 1907 hat zum ersten Mal das Elektrischlicht gebrannt.“

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