Am Ende des Winters

Für die Fahrt einmal quer durch die Stadt existieren keine Bilder mehr. Ich muss sie vergessen haben. Oder sie sind nie an Ort und Stelle angekommen.

Ich erinnere mich lediglich an Geräusche. Mein Herzschlag. Das dumpfe Poltern, wenn die U-Bahn im Tunnel verschwindet.

Stimmengewirr um mich herum. Irgendwo im Zug scheint ein Obdachloser Zeitungen zu verkaufen. Als er in meiner Nähe ist, reiche ich eine Münze ins Leere.

„Wollen Sie dafür wirklich keine Zeitung haben?“ Er fragt das offenbar mich.

„Seien Sie doch mal so richtig geschäftstüchtig“, höre ich mich sagen.“Stecken Sie das Geld weg und verkaufen Sie die Zeitung noch mal!“

Um mich herum Gekicher. Der Verkäufer lacht auch. Dann Stille. Nur die eigene Stimme im Kopf: Es ist etwas im Gange. Unheimlich klingt das. Ungeheuerlich. Du wolltest etwas geheim halten!

Vor dem Telefon stehen.

Zuhause bewegungslos vor dem Telefon stehen, minutenlang. Mantel und Stiefel sind bereits auf dem Weg ins Arbeitszimmer von mir gefallen. Meine Strümpfe sind nicht mehr schön. Reine Wolle, aber reine Wolle verfilzt. Ich werde die Strümpfe wegwerfen, später. Ersetzen brauche ich sie erst mal nicht. Die Wollstrumpf-Saison ist vorbei. Nächsten Winter… Nächster Winter? Werde ich nächsten Winter noch in der Welt sein?

Ju3iane
Juliane Beer: geb. 1964 in Bonn, Autorin, Wirtschaftsübersetzerin, Kindheit und Jugend in Norddeutschland und Lon-don, 1986 nach Berlin gekommen und geblieben, nach viel Off-Theater um die Jahrtausendwende mit dem Schreiben begonnen. Zuletzt: Arbeit kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen, Roman, Berlin 2010 Nach viel Off-Theater fing ich um die Jahrtausendwende mit Prosa an. Daraus wurden bislang einige Romane und Beiträge in Anthologien und Magazinen.

2 Kommentare

  1. Am Ende des Winters:
    Tulpen im Glas.
    Grüne Kaffee-Sets,
    ein Leise-Treter
    rosenrot verschamt
    und ohne Gleichung:
    Reflexe. Masse. Energie…

    Quadrat?

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