Sand aus der Wand

„Son Scheiß Leben, nachher muss ich noch zu Rewe, und dann holen wir den Sand aus der Wand.“ (frau kleist am 23. September 2017 um 17:48 Uh)

Ich hab da mein Buch versteckt. Hinter einer losen Fliese. Die dritte, von dort gezählt. Haben die nicht gefunden, die Polizeikohorte in meiner Wohnung. Das eine Zimmer, da wo immer Licht brennt, und die Luftfeuchtigkeit so hoch ist, dass meine Lupinen so schön wachsen, das haben sie natürlich gefunden. Aber das ist ja heute kein Problem. Hat ja fast jeder im Viertel. Bloß das Buch, wenn sie das gefunden hätten. Die hätten mich mitgenommen. Die warn ja bei mir, weil ich nicht bei Facebook bin und auch nicht bei Twitter und keine Emails schreibe und keine Kreditkarte habe. Alles in bar bezahle. Das ist ja heute echt verdächtig. Ist ja auch nicht mein Buch. Hab ich auf der Straße gefunden. Hatte jemand bei einer Razzia schnell aus dem Fenster geworfen. Aus dem vierzehnten Stock. Die sind ja echt wertvoll heute. Da gibt es ja nicht mehr so viele. Ich habe meinen Nachbarn, den Willi in Verdacht, dass er auch eins hat. Aber ich frag lieber nicht. Wer weiß. Irgendjemand hier im Haus ist ein Spitzel. Vielleicht der aus dem ersten Stock. Nachdem der aus Meusdorf zugezogen war, hatte man die Familie verhaftet, die aus der Dachgeschosswohnung. Die jetzt da wohnen, die haben sicher kein Buch. Die können nicht mal lesen. Na, vielleicht tun die auch nur so. Sicher ist sicher. Also ich trau hier keinen mehr.

Eleadora Stein
geb. am 12. 6. 1954 in Wilkau-Haßlau, ist eine vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und Übersetzerin und eine der bekanntesten zeitgenössischen deutschsprachigen Autorinnen. Nach ihrer umfassenden Kritik an Sprach- und Bewusstseinsschubladen befasste sich Stein vor allem mit dem fortschreitenden Verschwinden des Subjekts. Frühwerke wie „Pilzbeschimpfung“ und „Versuch über den Mut“ machten sie in den späten 1970er Jahren schlagartig bekannt. Bei der Wiedervereinigung der 1990er Jahre vertrat sie vereinigungskritische Positionen gegenüber der Mehrheitsmeinung.

5 Kommentare

  1. Wunderbarer Text! Ich habe mal gehört, dass Lupinen zur gleichen Familie wie Erbsen, Kichererbsen gehören. Zum Glück sind die meisten Zuchtformen heutzutage ungiftig und nicht bitter sind. Sie können aber für Allergiker problematisch sein.

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