Die ganze Nacht

—— nein, liebe frau kleist. Ich glaube eher, dass hier versucht wurde zu sagen, dass sich die Himmelskörper, und so auch der Mond und die Erde, nach harmonischen Gesetzen bewegen, nach einer musikalischen Harmonie, welche das Fundament der Welt ist. Und auch zugleich ihr Nicht-Fundament. Aber es trägt sie jedenfalls, also diese musikalische Gesetze, die Töne und diese Nicht-Töne, diese Bewegungen, diese immer auf diesen Ebenen kreisenden Bewegungen, auf diesen Ebenen, die sich schneiden, und das alles ist ja keine Wüste, weil ja alles klingt, aber ich komme von der Erzählung ab, ja ich wollte erzählen, in Prosa wollte ich erzählen, dass, wenn man also ein Gedicht schreibt, also nicht irgendein Gedicht, sondern ein gutes Gedicht, also ein richtig gutes Gedicht, das klingt ja dann auch, da bewegen sich auch die Töne, da schneiden sich ja auch die Ebenen, und irgendwie versucht man ja damit, diesen harmonischen Gesetzen näher zu kommen, dieser schrecklich schönen himmlischen Harmonie, diesem gewaltigen unhörbaren Klang, für uns jedenfalls unhörbar, meistens jedenfalls, außer in bestimmten Momenten, wo man ganz da ist, ganz und vollkommen in dem Moment, ganz konzentriert, also eigentlich darin verschwunden, also dass dann das Gedicht kein Zeichen mehr ist und kein Anzeichen und keine Bedeutung sondern reiner Klang, und dieser Klang ist die reine Bedeutung und die Nicht-Bedeutung zugleich, ach, aber wir werden ja immer daran scheitern, immer nur daran scheitern, mit jedem Gedicht daran scheitern, selbst mit unserem allerbesten Gedicht werden wir ganz gewaltig scheitern, wir sind ja in diesem himmlischen Klang dazu verurteilt, immer wieder zu scheitern und zu scheitern und zu scheitern und es trotzdem wieder zu versuchen, immer wieder zu versuchen, und dieser blöde viereckige Mond an diesem blöden Kran um den die Motten ihre enger werdenden Kreise ziehen, das ist ja bloß Hybris, das ist ja bloß vermessen, das bedeutet ja nichts, gar nicht, überhaupt nichts, das ist ja bloß ein Anzeichen, das auf uns weist, das weist auf uns, aber da, wo wir sind, da ist ja nichts, da ist ja bloß Leere, immer nur Leere, wir weisen ja bloß auf diesen viereckigen Mond zurück, und der steht uns bloß im Weg, da sehen wir die Sterne nicht und die Planeten und den richtigen Mond, der mal rund ist und mal nicht rund, der also immer anders klingt, und immer anders die Orchidee auf meinem Schreibtisch anschlägt, und ihren silbernen Schatten, den der richtige Mond, und auch die unzähligen anderen Schatten, die Schatten der unzähligen Sterne und der acht oder neun oder mehr oder weniger Planeten, die alle schreibt die Orchidee auf meinem Schreibtisch, schreibt sie immer wieder, hat die Möglichkeit, sie immer wieder zu schreiben, immer wieder neu, und zugleich immer wieder gleich und doch immer wieder anders, dieser unendliche Verweis auf die Unendlichkeit, nein, kein Verweis, kein Zeichen, kein Anzeichen, die Unendlichkeit klingt hier, sie ist hier, sie ist da, einfach nur da, in den Schatten der Orchidee, hier auf meinem Schreibtisch, und auch ihre Prosa, liebe frau kleist, auch in ihrer Prosa, da ist sie da, einfach nur da ——

Eleadora Stein
geb. am 12. 6. 1954 in Wilkau-Haßlau, ist eine vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin und Übersetzerin und eine der bekanntesten zeitgenössischen deutschsprachigen Autorinnen. Nach ihrer umfassenden Kritik an Sprach- und Bewusstseinsschubladen befasste sich Stein vor allem mit dem fortschreitenden Verschwinden des Subjekts. Frühwerke wie „Pilzbeschimpfung“ und „Versuch über den Mut“ machten sie in den späten 1970er Jahren schlagartig bekannt. Bei der Wiedervereinigung der 1990er Jahre vertrat sie vereinigungskritische Positionen gegenüber der Mehrheitsmeinung.

32 Kommentare

  1. Also erstens gibt es keinen richtigen Partner, nur eben Partner.
    Und zweites ist ein Tortenheber ebenso ein wichtiges Utensil.
    Die Entscheidung fällt schwer, weil: ohne Tortenheber klappt es nicht beim Date mit Partner in der eigenen Küche. Soll ich die Eierschecke mit den Händen verteilen? Wie sieht das denn aus? Mr. Right würde die Flucht ergreifen, bevor es …naja, also bevor wir…Sie wissen schon.

  2. Sie meinen also, erst der Heber, dann der Partner?
    Bzw.: Wenn Heber, dann Torte, dann Einladung, dann Kaffee, dann …. Sie wissen schon?

  3. Ich hatte mal einen Partner, dem war die Versorgungsfrage äußerst wichtig. Ich denke sogar, dass man das verallgemeinern kann. Auch wenn Männer heute gern den Koch mimen, wer wäscht hinterher ab? Richtig, nicht Mr. Right! Sondern der Spüler…. aber:
    Eine Frau muss kochen, backen und zunächst intelligent einkaufen können. Das erst macht sie attraktiv. Was nützt die schönste Seide auf der Haut, die zarteste Spitze am Bein, wenn Madame das Ei nur weich kochen kann? Noch dazu ein Fipronil-Ei, weil es ja 25 Cent spart.

  4. Eierschecke braucht weiche Eier. Geschüttelt, gerührt, geschlagen. Abe so richtig! Am besten ein Tuch über die Hand, damit es nicht so rumspritzt.

  5. Die Damen. Guten Abend. Ich war früher ein richtig heißer Feger. Damals war es auch noch viel einfacher. Da war der Mond noch rund, und nicht rechteckig. Das ist eine ziemlich große Baustelle, da draußen. Das wird wieder eine Seniorenresidenz, wenn ich das schon mal verraten darf. Mit Jedi-Studio. Haha. Kleiner Scherz. Gut was? Also mit Yoga-Studio. Ja, also, wenn ich etwas sagen darf, der Tortenheber, also das ist jetzt nicht das Sahnehäubchen. Also das i-Tüpfelchen. Die Kirsche auf der Torte. Das ist doch wirklich nicht so wichtig. Mir ist die Kirche auf der Torte wichtiger. Ja, richtig. Sie sind doch alle getauft, meine Damen?

  6. Können wir nicht mal wieder zum Sext zurückkehren? Also das mit dem Schreibtisch bspw. und der Orchidee, also das ist doch mal was Spannendes. Was will die Autorin uns damit sagen?

  7. (Schwer atmend, wie in einer Blechdose)

    ssssssccccccchhhhhhhhh
    ssssssccccccchhhhhhhhh
    ssssssccccccchhhhhhhhh

    (stimmhaftes s)

    sssss sssss sssss sssss
    sssss sssss sssss
    sssss sssss sssss sssss
    sssss sssss sssss

    sssss!

    (Mit tiefer Stimme.)

    Beklaue die Macht.

  8. Text, meine Liebe Stefanie. T – da ist Ihnen wohl Freud über die Zunge gepurzelt… bzw. sie haben an einem Schreibtischtäter gedacht. Mit Orchidee im Mund. Und das bei Vollmond. Fenster auf, die Luft ist warm. Pssst! Die Nachbarn.

  9. Das ist ein Bild. Das mit der Orchidee. Das will nichts sagen. Also nicht mit Worten. Das versteht man als Bild. Probiert es mal aus. Stellt eine Orchidee auf euren Schreibtisch. Dann das Rollo hoch. Das Licht aus. Warten.

  10. Schön. Den Tisch schnell aufräumen. Los. Der ist reserviert. Für diese Dichtertypen. Die bestellen einen Kaffee, und halten sich die ganze Nacht an der Tasse fest. Und was die reden. „Jener hat den Preis bekommen. Dieser Typ. Doch nur, weil er mit der Jury Eierlikör getrunken hat. Übrigens. Ich bin morgen in Novi Sad. Zum Internationalen Poesiefestival. Die bezahlen Flug und Übersetzung.“ So geht es die ganze Nacht. Reden immer nur von sich selbst. Ich glaube, die können nicht zuhören. Da bedien ich doch lieber die Skatschwestern.

  11. Also man darf doch nicht in Sachen wühlen, die keine höheren Ziele darstellen. Das geht doch nicht. Das ist doch keine richtige Literatur.

    Man kann doch den Menschen nur als solchen darstellen, wenn es um das Große und Ganze geht, also nicht in diesen ganzen Winzigkeiten, nicht um diese Frage, ob man einen Tortenheber nehmen soll oder nicht, oder warum die Straßenbahn schon wieder zwei Minuten zu spät ist oder ob Ariel besser als Persil ist (und hier ist nicht der Luftgeist aus dem „Sturm“ gemeint, also der von Shakespeare, und dann diese nichtige Regierung, die im Sturm untergeht), nein, er muss doch gezeigt werden, wenn es um seine Existenz geht, wenn es existentiell wird, nur dann ist es doch Literatur.

    Realimus, das ist einfach nur eine Ketchupflasche, die man über das Leben kippt.

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